Schreibrituale

Schreibrituale

Marcel Proust schrieb im Bett, Hemingway im Stehen. Die irische Schriftstellerin Marian Keyes zündet sich eine Kerze an zum Schreiben und Melanie Raabe legt auch mal roten Lippenstift auf.

Neil Gaiman schreibt seine Erstfassungen gerne mit einem speziellen Füller und per Hand, Benjamin Lebert braucht eine weiße Umgebung und Stephen King hat seinen Schreibtisch an die Wand gerückt, damit er nicht von einer Aussicht abgelenkt wird.

Autor*innen haben seit jeher ihre ganz eigenen kleinen und großen Schreibrituale.

Warum Schreibrituale?

Das mit der Kreativität ist so ein Ding. Ein sehr unsicheres, fragiles Ding. Und ich weiß z. B., dass ich, bevor ich überhaupt in die Tasten hauen kann, erst mal einen ganzen Stapel Bedenken beiseiteschieben muss. Kann ich das, darf ich das und wenn ja, wen interessiert es am Ende? Ganz abgesehen davon, dass es oftmals ein mühsamer und leicht verzweifelter Akt ist, die Geschichte, die sich so wunderbar in meinem Kopf entsponnen hat, aufs Papier zu bringen, wo sie dann viel zu oft den Glanz zu verlieren scheint. Ein Ritual hilft mir, das Schreiben in einem Punkt, einem Ort, einer Zeit, zu verankern. Ich gebe mir selber die Erlaubnis, Kreativ zu sein, ich sitze an meinem Schreibtisch, möglichst jeden Tag, möglichst zur selben Zeit, und ich lade die Muse ein. Aber ich warte nicht auf sie, sondern lege schon mal los.

Neugierig darauf, was wohl meine Kolleginnen und Kollegen so treiben, habe ich eine kleine, unrepräsentative Umfrage gestartet.

Musik oder White Noise

Musik spielt bei vielen Autoren eine Rolle, sei es zur Inspiration, oder auch einfach als ein gewisses Hintergrundrauschen, das den Alltag ausblendet und die Konzentration erleichtert.

Mörderische Schwester und Krimiautorin Bettina Kerwien setzt sich hin und haut in die Tasten. Sie mag es, wenn im Hintergrund der Fernseher läuft, und einen Internetzugang für schnelle Zwischendurchrecherchen braucht sie ebenfalls.
Ina Wulf geht nirgendwo hin ohne ihr Notizbuch, aber zum Schreiben daheim braucht sie absolute Ruhe.
Nina Hasse bringt sich gerne mit der passenden Musik für eine Szene in Stimmung und Ramona Karthe hat zu Schostakowitschs Leningrader Symphonie eine Kurzgeschichte geschrieben (bevorzugt für Kampfszenen allerdings Rock/Metall).

Ich empfinde manchmal auch leise Musik mit Coffeeshop-Geräuschen (so lange man noch nicht wieder im Café schreiben kann) als sehr angenehm, da gibt es z. B. auf YouTube eine große Auswahl (z. B. diese hier).

Seelennahrung

Immer wieder gerne Kaffee oder Tee (am besten im Lieblingsbecher), und die Lieblingsschokolade ist bei vielen auch unverzichtbar.

Bei Alexa Pukall geht nichts ohne eine frisch gebrühte Kanne Tee und ein gut ausgelüftetes Arbeitszimmer.

Thriller-Autor Anders Alborg: „Ich hatte eine Zeit lang ein schönes Schreibritual, ich habe meine Tochter einmal in der Woche zum Reiten gebracht und mich dann dort für 2 Stunden ins Café gesetzt; ich brauchte nicht zu bestellen, innerhalb von 5 Minuten standen die Donauwelle und der dampfende Latte Macchiato auf dem Tisch, und ich konnte es kaum erwarten, das Laptop aufzuklappen, weil schon so viele Buchstaben in die Maschine wollten. Damals sind auch die abgefahrenen Szenen mit den Pferden in den beiden Unikat Bänden entstanden.“

Frank Peters schreibt, soweit es das Wetter erlaubt, gerne im Garten. Feste Schreibzeiten engen seine Kreativität zu sehr ein. Allerdings hat er eine Geheimwaffe: „Wenn ich mal nicht weiter weiß, dann streichele ich den Kater und schaue ihm dabei tief in die klugen Augen – und schwups! läuft es wieder.“

Deadline und Zeitdruck

So ein Abgabetermin kann natürlich auch ungemein inspirierend sein.
C. A. Raaven meint: „Ich gönne mir nach dem Brot-Job eine Mini-Auszeit von einer Folge der jeweils aktuellen Serie, die ich suchte. Dann geht’s wieder hoch zur zweiten Schicht. Abgesehen davon hilft nur ein fester Termin im Kalender.“

Beim jährlichen NaNoWriMo geht es darum, in einem Monat (November) 50.000 Wörter zu schreiben. Ich habe das jetzt schon einige Male mitgemacht, nicht immer erfolgreich. Aber es kann ungemein gegen Unsicherheiten helfen. Denn mit so einem konkreten Ziel vor Augen hat man gar keine Zeit mehr für Zweifel. Man wird Teil einer großen Gemeinschaft, und es macht (meistens 😉 ) sehr viel Spaß.

Nach dem Schreiben ist vor dem Schreiben

Autorin Maike Stein zündet sich auch gerne eine Kerze an und dann (…) „wenn ich an einem meiner eigenen Romane arbeite, dann führe ich ein Romantagebuch, d.h. wenn ich mit der Arbeit am Text für den Tag aufhöre, setze ich mich mit einem Notizbuch hin, schreibe mir die Fragen auf, die ich habe, suche nach Antworten, denke schreibend über die nächsten Schritte nach, etc.“

Routine entwickeln

Nicole Kehlenbeck meint: „Der tolle Effekt kam durch den immer gleichen Ablauf. Schreiben war in die tägliche Routine integriert wie Zähneputzen, da denke ich ja auch nicht nach, ob ich das jetzt oder später mache, ob mein Putzen erfolgreich sein oder eine Niederlage werden wird. Ich habe mich nicht an den Laptop gesetzt, weil ich die grandioseste Idee aller Zeiten in glänzender Form schon vorformuliert im Kopf hatte, sondern weil ich einfach immer um diese Zeit beginne zu schreiben. Der Erfolgsdruck oder der hohe Eigenanspruch der mich ansonsten gerne quält und blockiert, kam hier gar nicht erst zum Zuge. Wenn ich so wie jetzt schreibe, ohne feste Zeiten, dann mache ich mir schon vorher einen Kopf, ob die Idee überhaupt ausreicht, ob ich das, was ich schreiben will, überhaupt ausdrücken kann, ob ich nicht einfach nur banalen Mist produziere. Diese dämliche Spirale torpediert mich dann und lässt mich die Entscheidung, JETZT anzufangen immer weiter rausschieben (Ich könnte erst einen Tee trinken, einen Kuchen backen, den Hund ausführen, den Schreibtisch aufräumen, eine Waschmaschine einstecken, einkaufen, damit ich mir einen Kuchen backen kann …).“

Affirmationen

Ich setzte mich auch gerne möglichst regelmäßig jeden Tag an meinen Schreibtisch. Dann wird erst mal gründlich die Brille geputzt. Eine Kerze zünde ich mir manchmal auch an. Und dann lese ich einige der Affirmationen aus Julia Camerons Buch Der Weg des Künstlers.

  • Ich bin ein talentierter Mensch
  • Ich habe ein Recht darauf, Künstler zu sein
  • Ich bin ein guter Mensch und ein guter Künstler
  • Kreativität ist ein Segen, den ich annehme
  • Meine Kreativität ist ein Segen für andere
  • Meine Kreativität wird gewürdigt
  • Ich behandele mich und meine Kreativität jetzt freundlicher
  • Ich behandele mich und meine Kreativität jetzt großzügiger
  • Ich lebe meine Kreativität jetzt offener
  • Ich akzeptiere jetzt Hoffnung.
  • Ich handele jetzt positiv
  • Ich akzeptiere jetzt die Aktivierung meiner Kreativität

Klingt albern? Erst recht, wenn du versuchst, sie laut zu lesen? Genau. Versuche es trotzdem mal. Ist zwar gewöhnungsbedürftig, aber auch ungemein erleichternd und befreiend. So empfinde ich es jedenfalls.

Buch- und Filmtipps

Sehr gute Tipps und Ideen rund um Kreativität gibt es in Melanie Raabes Buch Kreativität – Wie sie uns mutiger, glücklicher und stärker macht.

Und hier noch ein schöner Kurzfilm vom NDR: Schreibrituale und Musenküsse.

Vielleicht sind ja ein paar Sachen für dich dabei? Auf alle Fälle gilt: tu, was du willst, was du brauchst und was dir hilft. Ganz egal, wie komisch es dir vorkommen mag.

Hast du eigene Schreibrituale? Erzähl doch mal.

1 comment found

  1. Spannend zu lesen, wie die Kolleg:innen so arbeiten! Und mit dem letzten Absatz triffst du es für mich voll: “Auf alle Fälle gilt: tu, was du willst, was du brauchst und was dir hilft. Ganz egal, wie komisch es dir vorkommt.”
    Das finde ich bei diesen kreativen Vorgängen das Wichtigste: herausfinden, was funktioniert, ganz subjektiv. Dann müssen “nur noch” diese lästigen Stimmen im Kopf zum Schweigen gebracht werden, die das lächerlich finden oder prätentiös oder die eigenen Rituale als Zeitverschwendung oder faule Ausrede bezeichnen … und schon kann’s losgehen. Das Schöne dabei: mit der Zeit wird’s leichter (stelle ich fest).

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