Berlin liest ein Buch: Marzahn Mon Amour

Berlin liest ein Buch: Marzahn Mon Amour

Eine Schriftstellerin, die Fußpflegerin in Marzahn wird? Oh weh, dachte ich und sah meinen ganz persönlichen Albtraum wahr werden. Schreibe ich nicht selber Romane, mit mäßigem Erfolg, habe ich nicht selber Verlagsabsagen zu Manuskripten erhalten, die mir am Herzen lagen? Stellte ich mir nicht auch in (un)schöner Regelmäßigkeit die Frage, warum mache ich das hier alles überhaupt? Sollte ich das vielleicht jetzt auch besser alles hinschmeißen und was Sinnvolles machen, z. B. Füße pflegen?

Dies jedenfalls ist die Ausgangslage von Katja Oskamps Roman Marzahn Mon Amour, und sie hat genau das getan. Alles hingeschmissen und eine Ausbildung zur Fußpflegerin gemacht. Jetzt arbeitet sie in Berlin-Marzahn.

Allein schon deshalb musste ich dieses kleine, feine Bändchen unbedingt lesen. Denn wie um alles in der Welt kommt sie nur darauf, und, vor allem, wie ergeht es ihr damit?

Und wie schafft sie es nur, nicht mehr schreiben zu wollen?

Die letzte Frage war gleich vorweg zu beantworten: Sie schafft es natürlich nicht. Schließlich halte ich ihr jüngstes Werk in den Händen und habe es gerne und mit viel Spaß gelesen.

Oskamp porträtiert die Menschen, denen sie tagtäglich begegnet, mit liebevollem Humor. Man möchte glatt Marzahn besuchen. Sie blättert Schicksale aus der ehemaligen DDR auf, lässt uns an ihrem Arbeits-Alltag teilhaben und behandelt ihre Klient*innen wie kleine Könige und Königinnen, vor denen sie sozusagen niederkniet.

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass so eine Fußpflege wirklich was ganz besonders ist. Die armen, vernachlässigten Dinger da am Ende des Beines, wie sie sich freuen, wenn ihnen jemand Aufmerksamkeit widmet, Nägel schneidet (je älter man wird, desto schwerer kommt man da ran), sie massiert und eincremt. Man verlässt den Laden und läuft für eine kleine Weile wie auf Wolken.

Genau das möchte Oskamp ihre Kunden spüren lassen, und sie schafft es auch. Selbst wenn man als Leser zwischendurch mal denkt, oh weh, wie unappetitlich. Am Ende wird alles gut.

Und dann ist auch noch ein Buch dabei herausgekommen.

Alles in allem, ich bin beruhigt. Oskamp kann nicht vom Schreiben leben, so wie die allermeisten von uns. Aber sie hat sich einen Job gesucht, bei dem sie Menschen und Schicksale beobachten und kennenlernen kann. Einer, der die Miete bezahlt und zugleich auch das Schriftstellergehirn anregt.

Ich bin sicher, da kommt demnächst wieder ein Buch.

Und ich freue mich schon darauf.

 

PS

Marzahn Mon Amour habe ich gelesen im Rahmen der sehr schönen Aktion Berlin liest ein Buch.  Auf der Aktions-Seite der Berliner Humboldt-Bibliothek kann man sich angucken, wie Bettina Kerwien und ich uns damit an ungewöhnliche Leseorte begeben. Das ist bestimmt die welterste Dackellesung! Viel Spaß damit.

Mehr Lesetipps hier: Mein Bücherjahr 2021.

 

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