Wonderful World

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Neulich traf ich meinen Dämon im Supermarkt. Er stand bei den Haarpflegeprodukten und sah unentschlossen drein. Ich riet ihm zum Apfelshampoo, denn das duftet so schön fruchtig. Er griff sofort nach etwas, dass sich Homme PurNoir nannte und wahrscheinlich mehr Chemie enthielt als der gesamte Ladeninhalt.

Dann begutachtete er meinen Einkaufswagen und seufzte schwer. Dort lagen Möhren, Kartoffeln, Bananen, Vollkornbrot und eine Tafel Zartbitterschokolade.

„Nicht wenigstens ein oder zwei Fläschchen Wein?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Keine Zigaretten?“

Ich verzog das Gesicht. „Nein, danke.“

„Aber ein schönes Stückchen Billigfleisch?“

Ich schüttelte mich. Mein Dämon seufzte erneut. Lang und schwer. Wir standen gemeinsam an der Kasse an.

„Du könntest dich vordrängeln und sagen, dass du es eilig hast, weil du in der zweiten Spur parkst.“

„Ich habe gar kein Auto.“

Das wusste er natürlich. Er kaufte das Homme PurNoir und eine Flasche Wodka. Ich hoffte, dass er sich verabschieden würde, aber nein. Er bestand darauf, mich nach Hause zu begleiten. Ich spannte den Regenschirm auf und seufzte nun meinerseits. Dann gab ich ihm meine Einkaufstasche zum Tragen. Er konnte sich wenigstens nützlich machen.

„Wie geht es dir?“, wollte er wissen.

„Gut.“

Seine Schultern sackten nach unten. Regentropfen pladderten auf meinen Schirm. Mein Dämon und ich, wir enttäuschen einander regelmäßig. Fast könnte er einem leidtun.

„Es regnet“, verkündete er mit düsterer Stimme. „Der Himmel hängt wie graues Blei über der nassen, kalten Stadt.“

„Ich liebe die frische Luft, es riecht alles wie geputzt und es glänzt. Und guck mal, wie sich die Bäume in den Pfützen spiegeln. Das ist eine ganze Welt, nur spiegelverkehrt. Ich stelle mir oft vor, was da drin für Abenteuer warten könnten.“

„Ich hasse Schriftsteller“, brummte er. „Viel zu viel Fantasie, mit der sie glauben, sich überall raus lavieren zu können.“

„Das klappt nicht immer. Denk an Silvia Plath und Virginia Woolf.“

„Stimmt“. Seine Miene hellte sich auf. „Du hast nicht zufällig einen Gasherd?“

„Nein. Und schwimmen kann ich auch.“

Grimmig kickte er ein Steinchen über den Weg. Über uns krächzte eine Krähe. Es klang wie Gelächter.

„Warum mussten sie mich ausgerechnet dir zuteilen?”, maulte er. „Du benimmst dich überhaupt nicht wie ein richtiger Schriftsteller!“

„So so. Ich bin übrigens SchriftstellerIN.“ Er zuckte zusammen. Gendern war nicht sein Ding. „Und was macht deiner Ansicht nach eine richtige SchriftstellerIN aus?“

„Na, du weißt schon. Sich die Haare raufen, saufen, rauchen. Nächte durchwachen, sich verzehren. Auf die Muse warten, auf Inspiration hoffen und sich ordentlich selber dabei quälen. Schwarz tragen, dunkle Augenringe haben. Cool sein. Das große Epos schreiben wollen und mit nichts, was man produziert, zufrieden sein.“

„Und am Ende dann krank, einsam, von aller Welt missverstanden und vor allem viel zu jung sterben?“

„Genau!“ Er freut sich sichtlich. „Hast du dich in letzter Zeit von aller Welt missverstanden gefühlt?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Passiert uns das nicht allen hin und wieder?“

Er schob seine Unterlippe vor, was ihm eine verblüffende Ähnlichkeit mit einem schmollenden Dreijährigen verlieh. Ich lenkte ein. „Also, unter uns. Ich habs versucht. Ehrlich. Aber diese ganze Selbstzerfleischungsnummer macht mir einfach keinen Spaß auf die Dauer.“

„Spaß?“ Er ist ehrlich empört. „Kunst soll doch keinen Spaß machen! Kunst ist Quälerei, und nur eine wahrhaft gepeinigte Seele kann wahrhafte Kunst hervorbringen.“

„Hat der Marquis de Sade zu deinen Klienten gehört?“

„Nein. Leider nicht.“

Es hatte zu regnen aufgehört. Ich klappte meinen Schirm zusammen. Die Sonne schob sich durch die Wolken.

„Und mit der Kunst ist das auch so ein Ding. Ich schreibe Geschichten, um die Menschen zu unterhalten. Ob das nun Kunst ist oder am Ende wegkann, ist mir herzlich egal.“

„Du bist also keine richtige Künstlerin?“

Jetzt langte es mir aber. „Und du bist kein richtiger Dämon. Sieh dich doch an.“

In einer Pfütze zu unseren Füßen spiegelte sich ein kleiner, runder Kerl mit flachsblonden Haaren und großen blauen Augen. Als er sich das erste Mal bei mir vorgestellt hatte, hatte ich gedacht, jemand wollte sich über mich lustig machen. Schließlich weiß jeder, dass Dämonen cool sind. Groß, schlank, ganz in Schwarz, markantes Kinn, Dreitagebart und teuflisch sexy. Na ja, vielleicht nicht ganz. Aber so habe ich mir meinen persönlichen Dämon immer vorgestellt. Einer, der mich zum Bösen verführt und mit mir nachts auf regennassen Straßen Tango tanzt (dabei kann ich gar nicht tanzen).

Mein Dämon sah aus, als würde er gleich anfangen, zu weinen. „Was soll ich denn nur machen? Mein Chef hat neulich schon mit mir geschimpft. Ich habe schon viel zu lange niemanden mehr so richtig gequält, geschweige denn, eine frische Seele für die Hölle geholt.“

Mein Dämon ist deprimiert, dachte ich. Und es ist meine Schuld. Ich kam mir ein wenig schäbig vor. „Wie ist es so in der Hölle?“

„Wie in der Verwaltung. Alles nur Bürokratie, überall Pfennigfuchser und Aktendeckelschubser. Sterbenslangweilig. Deshalb bin ich ja auch viel lieber hier. Diese Welt ist so … wunderbar.“

„Ja, das ist sie. Trotz allem.“

„Trotz allem.“

In zitternden Regentropfen fing sich die Sonne ein. Ein Vogel zwitscherte. Eigentlich passten wir ganz gut zusammen, mein Dämon und ich. Er sah sogar beinahe so aus wie ich. Beinahe.

„Ich könnte demnächst eine kleine Sinnkrise haben“, schlug ich vor.

„Ja, wirklich?“ Seine Augen leuchteten wieder.

„Passt dir Freitag Nachmittag, so gegen drei? Ich werde meine Social-Media-Kanäle nach anderen Autor*innen durchforsten und mich schlecht fühlen, weil sie alle so viel besser und erfolgreicher zu sein scheinen als ich. Und dann gibts Kaffee und Kuchen.“

„Schokoladenkuchen?“

„Von mir aus.“

„Das würdest du für mich tun?“

„Klar. Was tut man nicht alles für seine Freunde.“

Jetzt heulte er wirklich ein wenig. Freudentränen. Manchmal braucht es wirklich nicht viel, um jemand anderen glücklich zu machen.

„Bis Freitag, dann!“ Er winkte mir eifrig nach.

Ich ging nach Hause, um eine neue Geschichte zu schreiben. Und Kuchen zu backen.

 

 

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Vier Autor*innen, ein Thema, vier Kurzgeschichten. Jeden Montag eine, reihum auf unseren Blogs kostenlos zu lesen, damit eure Woche einen wahrhaft phantastischen Start hat: Das ist #phantastischermontag.

In 2021 lassen wir uns von unseren Lieblingssongs zu Geschichten inspirieren.

Im Mai ist es Wonderful World von Louis Amstrong. Die drei anderen Storys werde ich hier nach und nach verlinken:

Bei Christian Raaven ist Wahltag.

Maike Stein überlegt Vielleicht noch nicht.

Alexa Pukall schickt einen Schneckenbändiger ins Rennen.

Unsere Gastautorin Bettina Kerwien entdeckt Entfernte Verwandte.

Viel Spaß beim Lesen!

 

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