Wer reitet so spät durch Nacht und Wind …

Wer reitet so spät durch Nacht und Wind …

oder

Warum ich einen Jugendroman über den Erlkönig geschrieben habe.

(Dies ist ein Beitrag im Rahmen des Märchensommers)

Goethes Erlkönig zählt zu den naturmagischen Balladen, in denen die Natur von ihrer lockenden, beglückenden aber auch tödlichen Seite dargestellt wird. Ein Vater reitet mit seinem Sohn des nachts nach Hause, der Knabe wird von einem magischen Wesen angesprochen und zum Bleiben verlockt. Der Vater hört davon nichts, sieht jedoch die Angst seines Sohnes, reitet verzweifelt schneller und schafft es am Ende doch nicht. Der Knabe stirbt.

Balladen sind eine Gedichtform, in der Geschichten erzählt werden. Für die des Erlkönig gibt es verschiedene Interpretationen. Erzählt die Ballade von einem kranken Kind, das nicht mehr rechtzeitig zum Arzt gelangt? Handelt es sich um die schreckliche Geschichte eines sexuellen Mißbrauchs, oder geht es noch um etwas ganz anderes, steckt vielleicht ein uralter Mythos dahinter?

Mich hat die Ballade von jeher schon fasziniert. Ich habe ein wenig nachgeforscht, und finde es sehr spannend, was sich für Querverweise und Wurzeln finden lassen.

Goethe soll unter anderem von einer Dänischen Ballade inspiriert worden sein: Erlkönigs Tochter. Dort gibt es einen Ellerkonge (oder Elverkonge), einen Elfenkönig, der, falsch übersetzt, zu einem Erlkönig wurde. Oder hat Goethe das etwa absichtlich getan?

Der Dichter und Schriftsteller Robert Ranke-Graves schreibt in Die weiße Göttin, dass der dänische Ellerkonge tatsächlich der altenglische Gott Bran (der König der Erlen) sei. Und Bran entführt Kinder in die andere Welt.

Ranke-Graves wird von Burk zitiert in seinem Essay Die Erlkönigin. Dort beschreibt Burk, wie alte Mythen um die Welt reisen, ihre Gestalt wandeln, in neuem Kleid auftauchen und kommt zu dem Schluss:

„Die Legende vom männlichen Erlen-und Elfenkönig überliefert daher eine nur noch schemenhafte Erinnerung an eine uralte weibliche weiße und dreifaltige Todesgöttin, die ursprünglich im alten Griechenland beheimatet war und deren Kult über Spanien nach England wanderte, wo Alphito alias Cerriwen ihr Geschlecht wechselte und zu Bran wurde.“

Und welcher Mythos verbirgt sich hinter der griechischen Göttin Alphito (die kleine Jungen stiehlt)? Niemand anderes als Lilith, Adams erste Frau.

Lilith wurde bestraft, weil sie sich weigerte, Adam zu gehorchen und im Paradies zu bleiben. Deshalb werden seither jeden Tag hundert ihrer Kinder von drei Engeln getötet. Kein Wunder, dass sie sich in einen Nachtdämon verwandelt und an menschlichen Kindern schadlos hält. Bilder zeigen Lilith mit langen, wirren Haaren und Flügeln. Die Krone und der Schweif des Erlkönigs könnten also durchaus eine volkstümliche Verballhornung ihrer Haare und Flügel sein.

Der Erlkönig ist also eigentlich … eine Erlkönigin?

Ich finde das faszinierend. Und es hat mich angeregt, den Fluch des Erlkönigs zu schreiben. Eine etwas andere Geschichte vom Erlkönig.

Wie erklären wir uns die Welt? Durch Geschichten: Mythen, Märchen, Überlieferungen.

Der Kampf mit dem Drachen, die Begegnung mit Hexen und magischen Wesen, darin spiegeln sich Naturgewalten wieder, denen der Mensch hilflos gegenüber steht. Wie gehen wir mit ihnen um, lassen sie sich durch Opfer bezähmen, oder durch Tapferkeit und List? Aber auch die eigene Psyche, die dunklen Strömungen in uns, finden Eingang z.B. in Märchen. Das Ungezähmte, Wilde in uns, die alten Instinkte, nur notdürftig von Zivilisation und guten Manieren übertüncht. Eine Quelle, die wir anzapfen, in Kreativität verwandeln können.

Am Anfang war das Wort.

Also lasst uns eine Geschichte erzählen …

 

 

Den Original-Beitrag (und eine Übersetzung ins Englische) findet ihr Hier.

 

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