Die Erleuchtung in Gang 54

Die Erleuchtung in Gang 54

Alles begann damit, dass das Glühlämpchen in meiner Badezimmerbeleuchtung starb. Ein leises Pling und es ward finster im Bad. Also auf zum großen Baumarkt.

„Leuchtmittel in Gang 54“, heißt es.

Ich wandere los, vorbei an Badewannen und Duschköpfen, Wandfarben und Poliermitteln. In Gang 38 probiert ein Steppke Türklingeln aus. Wer lässt sich seine Besucher vom Imperialen Marsch aus Star Wars ankündigen?

In Gang 42 glotzen mich Goldfische an.

In Gang 54 beginnen endlich die Regalreihen mit Glühbirnen in unterschiedlichen Größen, Formen, Preisen. Sie verlieren sich irgendwo in der Ferne und ich stehe mit offenem Mund davor. Das kann doch nicht so schwer sein?

Aus versteckten Lautsprechern singt es leise Baby light my fire. Ich beginne, zu schwitzen. Und dann eilt doch tatsächlich ein großer, schlanker Verkäufer vorbei. Ich halte mein kaputtes Lämpchen hoch:

„Entschuldigung, ich suche …“

„Halt!“

Ich zucke zusammen.

„Halogenlämpchen niemals anfassen. Der Schweiß auf ihrer Haut kann sich regelrecht einbrennen. Schlimmstenfalls platzen sie!“

„Ich?“

„Das Lämpchen!“

„Das hier ist schon geplatzt.“

Er guckt entsetzt. Sein Namensschild weist ihn als Herr Emil aus.

„Es starb einen friedlichen Alterstod“, versichere ich schnell. „Ich möchte nur eine neue Glühbirne.“

„Nur?“ Er glotzt schlimmer als die Goldfischchen. „Kurt! Die Dame hier sucht nur eine neue Glühbirne!“

Ein zweiter Kollege schießt aus dem nächsten Gang hervor. Er ist klein und rund, seine blankpolierte Glatze schimmert im Neonlicht.

„Nur? Waren Goethes letzte Worte nicht ‚Mehr Licht‘?!“

Herr Emil nickt. „Außerdem heißt es Leuchtmittel! Denken Sie nur an die Erleuchtung und das Zeitalter der Aufklärung! Wo das Licht der Vernunft in die dunkelsten Winkel von Vorurteil und Unwissen schien!“

„Ich möchte eigentlich nur mein dunkles Badezimmer erhellen“, sage ich vorsichtig.

„Haben Sie etwas gegen Vernunft?“, will Kurt wissen.

Ich schüttele hastig den Kopf. Eine bebrillte Verkäuferin nähert sich.

„Jutta!“, ruft Herr Emil. „Diese Dame will nur ein Leuchtmittel!“

Jutta deklamiert: „Es werde Licht! Und es ward Licht!“

„Genau!“, ruft Kurt. „Das steht schon in der Bibel!“

Ich überlege, ob ich Zuhause noch eine Kerze habe. Vielleicht vom Adventskranz aus dem letzten Jahr?

„Nicht zu vergessen die Literatur!“, sagt Herr Emil. „Lassen Sie mich den ersten Satz von Günter Grass‘ Meisterwerk Die Blechtrommel zitieren: ‚Ich erblickte das Licht dieser Welt in Gestalt zweier Sechzig-Watt-Glühlampen‘.“

Allgemeines ehrfürchtiges Nicken.

„Glühlampen?“, hake ich vorsichtig nach.

„Das ist Literatur!“, sagt Herr Emil.

Aber jetzt war mir auch etwas eingefallen:

„In den Donald Duck Comics gibt es einen verrückten Erfinder namens Daniel Düsentrieb. Der hat ein Helferlein in Gestalt einer Glühlampe mit Beinen!“

Tödliches Schweigen, grimmige Mienen. Ich erinnere mich, dass die Sägen sich nebenan befinden, ebenso Hammer und Zangen. Gab es da hinten nicht auch Häckselmaschinen?

In diesem Augenblick schießt der Steppke mit ausgebreiteten Armen um die Ecke. Er ruft „Ich bin der Todesstern! Flüchtet, Rebellen!“ und macht Laserschwertgeräusche.

Die Verkäufer flüchten umgehend. Ich verstecke mich hinter einem Sonderangebotskorb voller Smoothie-Mixer und warte, bis die Luft rein ist.

Eigentlich brauche ich auch noch eine ganz bestimmte Sorte von Schrauben, aber so schief steht das Bücherregal gar nicht.

Und es gibt bestimmt noch Kerzen Zuhause.

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Diese Kurzgeschichte habe ich für die Lesebühne Tegel geschrieben, die am 1.9.2021 stattfand.

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