Carola mit C

Carola mit C

„Carola Wolff“, sagt sie. „Carola mit C und Wolff mit Doppel ff.“

„Ah, gefunden“, sagt die Sachbearbeiterin im Bürgeramt und tippt eifrig. Dann kramt sie in einer Schublade und überreicht ihr strahlend ein Stück Plastik: der neue Personalausweis. „Jetzt sind Sie wieder ein richtiger Mensch.“

Das ist gut, denkt Carola. Wenn sie ein richtiger Mensch ist, und das hat sie jetzt schriftlich, ihren Mensch-Ausweis, dann kann sie endlich auch einen richtigen Roman schreiben.

Carola geht nach Hause, klappt ihren Laptop auf und starrt ihr angefangenes Textdokument an.

Carola möchte einen richtigen Roman schreiben. So wie ein richtiger Schriftsteller. Keine Schriftstellerin. Schriftstellerinnen schreiben über Menstruation und Kinderkriegen und Hausarbeit. Schriftsteller schreiben über Philosophie, Politik und … Penis? Ach, alles Blödsinn.

Warum kann man es nicht machen wie die Engländer und einfach Writer sagen? Schreiber. I am a writer. Basta.

Nebengleis. Carola landet oft auf Nebengleisen. Sie entgleist häufig. Andere setzten ihren Zug auf die Strecke, hängen Wagons dran, und stampfen los. Immer schön beharrlich aufs Ziel zu. Carola schnauft und keucht und kommt trotzdem nicht richtig vorwärts. Zu viele Nebenstrecken. Zu viele Metaphern. Mal wieder entgleist.

Gibt es ein richtiges Leben im falschen? Gibt es ein richtiges Schreiben im falschen?

Gibt es einen richtigen Roman?

Durch Carolas Kopf geistert eine Eremitin. Die hat die Nase voll von allem und geht in den Wald.

Carola klappt den Laptop zu und geht in den Wald, Bäume umarmen.

Sie setzt sich an einen Stamm, zwischen die großen, festen Wurzeln, lehnt den Rücken an die raue Borke und träumt. Sie träumt, sie fühlt sich sicher. Beschützt von dem grundruhigen Wesen hinter ihr. Nichts kann ihr passieren. Krankheit, Krieg, Inflation? Der Baum beschützt sie, hält sie fest. Unerschütterlich. Dann juckt es an ihrer linken Wade. Ameisen. Carola springt auf. Über ihr schüttelt der Baum seine Krone, Blätter rascheln. Er sieht aus, als ob er etwas sagen wollte, hält dann aber doch wohlweislich seine Klappe.

Carola geht nach Hause, öffnet ihren Laptop und starrt ihr angefangenes Textdokument an.

Junge und alte weiße Männer in Amerika möchten DEN großen amerikanischen Roman schreiben. Carola möchte auch. Vielleicht DEN großen deutschen Roman? Und schreibt doch nur wieder über Frauen und das Älterwerden und Hitzewallungen und einen Wald, in dem Bäume reden können. Frauenthemen. Märchen. Bah.

Und doch. Und doch. Und DOCH.

Einfach mal machen. Scheiß auf alles andere, scheiß auf Erwartungen.

Carola ist ein richtiger Mensch, sie hat das Stück Plastik, das es beweist. Also sind alle Themen, über die sie schreibt, automatisch die richtigen Themen. Und es wird ein richtiges Buch. Ein richtiger Roman.

Was ist das überhaupt, richtig und falsch, wer legt denn das fest?

An dieser Stelle meldet sich Carolas Konto zu Wort. Es weist diskret darauf hin, dass im bevorstehenden Winter mehr Heizkosten zu zahlen sind, ganz zu schweigen von anderen Sachen, die immer teurer werden. Ihre kleine Rente kann das nicht mehr auffangen. Ob sie nicht vorher ganz fix noch einen Liebesroman schreiben sollte? Das bringt zwar nicht besonders viel, aber immerhin besser als nichts. „Der große deutsche Liebesroman, wie wärs?“, lockt ihr Konto mit einem leicht sarkastischen Unterton.

Geld oder Kunst?

Richtig oder falsch?

Carola geht sich einen Tee kochen. In irgendeiner Schublade gibt es auch noch Schokoladenkekse.

Die sind immer richtig.

 

 

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