Ungeplant
Die Fantasy-Autorin ist glücklich. Endlich, endlich hat sie einen ungestörten Schreibtag in ihrer kleinen Wohnung vor sich. Sie hat sorgfältig alle Termine geplant und sichergestellt, dass sie keinerlei Verpflichtungen hat. Heute wird sie das phantastische Buch beginnen, auf das sie sich so lange vorbereitet hat. Sie setzt sich an den Schreibtisch. Der Kaffee steht im Becher bereit, daneben liegen die Ingwer-Kekse, die sie so gerne mag, auf einem kleinen Teller angerichtet.
Auf dem leeren Bildschirm blinkt der kleine schwarze Cursor. Die Autorin weiß ganz genau, was sie schreiben wird. Voller Vorfreude legt sie ihre Finger auf die Tastatur …
„Hast du gründlich genug recherchiert?“, fragt die weise Eule, die auf ihrer Sessellehne hockt.
„Natürlich!“, sagt die Autorin und schiebt die sofort aufkommenden Zweifel energisch beiseite.
Die Eule gibt ein nachdenkliches „Hm“ von sich. Glücklicherweise widmet sie sich dann wieder ihrem Kreuzworträtsel.
Die Autorin schreibt den ersten Satz. Der ist gut. Der ist ein Anfang. Jetzt geht es weiter, jetzt wird es gleich beginnen, zu fließen …
„Nun mach schon!“, sagt der Bücherwurm, der in ihrem Regal lebt. „Ich brauche neuen Lesestoff“.
„Da stehen mindestens noch zehn ungelesene Bücher neben dir“, sagt die Autorin.
Der Bücherwurm kriecht leise murrend davon. Die Autorin schreibt den zweiten Satz. Der dritte folgt von ganz allein, dann der vierte. Ihre Finger fliegen über die Tasten. Jetzt, jetzt kommt sie der Geschichte schon näher, jetzt … das Telefon klingelt. Verflixt, sie hat doch den Stecker ziehen wollen.
„Hallo, wie bitte? Sie sind von Microsoft und wollen meine Computer-Zugangsdaten haben?“
Die Autorin schüttelt den Kopf und legt auf. Dass es immer noch Menschen gibt, die auf so was hereinfallen?
Inzwischen ist der Kaffee kalt geworden. Sie geht in die Küche, um frischen zu kochen, doch sie kommt nicht weit. Gleich neben der Küchentür stolpert sie über ein kleines fluffiges Plotbunny und kann sich erst im letzten Moment am Kühlschrank festhalten.
„Pass doch auf, wo du hintrittst!“, schimpft es.
Plotbunnys sind unter Autoren eher unbeliebt, handelt es sich doch um die kleinen, aber aufdringlichen neuen Ideen, die sich rund um eine Geschichte immer ansammeln und die Autorin dazu verführen wollen, lieber ihnen als dem ursprünglichen Plan zu folgen. Und sie vermehren sich rasant, so wie Karnickel eben. Die Autorin ignoriert das Plotbunny standhaft und kehrt mit frischem Kaffee an den Schreibtisch zurück. Der Tag ist noch jung, der Cursor blinkt. Die Autorin legt los, sie schreibt und schreibt und schreibt …
„Ich habe Hunger“, sagt der Papierkorb. „Wann gibts was zu fressen?“
„Wenn ich genug geschrieben habe, um Ausdrucke zum Überarbeiten zu machen“, sagt die Autorin.
Der Papierkorb schmollt. Wenigstens ist er leise dabei. Die Eule räuspert sich. Der Bücherwurm knuspert vor sich hin. Die Autorin bemüht sich, ihren Faden wiederzufinden. Sie tippt. Ihre Geschichte …
Es klingelt an der Tür. Die Autorin bemüht sich, das schrille Geräusch zu ignorieren. Aber wer auch immer da draußen ist, gibt nicht auf.
„Nein, danke, ich will keine Zeitschrift abonnieren“, versichert die Autorin und schließt ihre Wohnungstür wieder. Dann zerrt sie den Klingelkasten von der Flurwand. Ein Stück Tapete kommt gleich mit.
In der Küche haben sich die Plotbunnys vermehrt. Drei sitzen im Obstkorb und knabbern an den Äpfeln. Zwei haben die restlichen Kekse im Regal entdeckt.
Im Vorbeigehen reißt die Autorin den Stecker des Telefons aus der Buchse. Sie setzt sich wieder an den Schreibtisch. Der Bürosessel knirscht, knackt und bricht ein. Er ist schon sehr alt und ausgerechnet heute hat er beschlossen, endgültig den Geist aufzugeben.
Die Autorin landet auf dem Fußboden und bei dem Versuch, sich abzustützen, verstaucht sie sich die rechte Hand. Als sie sich am Schreibtisch hochzuziehen versucht, kommt dieser ins Wackeln. Der Becher darauf kippt um. Kalter Kaffee läuft über die Laptoptastatur. Der Laptop hustet kurz und verstummt, seine Lichter erlöschen. Die Autorin hat noch kein Backup gemacht.
Draußen zieht ein Sturm auf. Ein Heer von Orks strömt aus Mordor. Gandalf fliegt auf einem Adler heran. In der Küche haben Legolas und Gimli die Plotbunnys mit dem Bogen erlegt und braten sie nun auf der heißen Herdplatte. Die Hobbits verlangen ein zweites Frühstück.
Die Autorin schmeißt den Laptop aus dem Fenster und geht ins Bett.
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