Sugar and Spice and all things nice
„Bei Hekate!“, rief Agatha aus. „Ich verstehe das nicht, Kind!“
Nur, weil der Sauerteig seinem Namen alle Ehre machte und wirklich sauer war.
„Der lässt sich ja noch nicht mal anfassen!“
Agatha hielt mir anklagend ihren blutigen Zeigefinger unter die Nase. Mein Sauerteig hatte sie gebissen. Jetzt hockte er in der großen Rührschüssel und blubberte vor sich hin. Hörte sich fast so an, als würde er lachen.
„Was hat sie denn jetzt schon wieder angestellt?“
Oh nein, nun kam auch noch ihre Schwester Beatrix in die Küche. Na, eigentlich kein Wunder. Sie war immer gerne dabei, wenn irgendwo etwas los war.
„Es funktioniert einfach nicht“, jammerte Agatha.
Sie meinte natürlich, dass ich nicht funktioniere.
„Hollys Apfelkuchen hat die Maus vergiftet, die daran geknabbert hat“, begann Agatha meine Missetaten aufzuzählen. „Ihre Rosinenbrötchen verursachen höllische Magenkrämpfe …“
„Aber meine Lavendel-Plätzchen waren ok“, warf ich ein.
„Steinhart“, sagte Beatrix und funkelte mich über den Rand ihrer Brille hinweg an. „Sie taugen nur als Mottenschutz im Kleiderschrank.“
„Aber sie haben niemanden umgebracht“, murmelte ich.
„Das würden die Motten gewiss anders sehen“, höhnte Beatrix.
„Was ist hier los?“
Portia stand im Türrahmen, groß, aufrecht, mit strenger Miene. Ich spürte förmlich, wie ich ein paar Zentimeter schrumpfte. Portia konnte einem durch Blicke allein zu verstehen geben, wie ungeschickt und nichtsnutzig man war. Agatha und Beatrix fingen sofort an, wild durcheinanderzureden. Ich versuchte, mich hinter Agathas breitem Rücken zu verstecken.
„Holly!“
Vergeblich.
Portias scharfe Stimme brachte alle schlagartig zum Verstummen. Die dritte der Schwestern trat in die Küche und postierte sich zwischen Beatrix und Agatha. Hier waren wir nun. Eine Küchenhexe, eine Bücherhexe, eine Großmagierin und ich. Die (gefährliche) Niete.
„Was sollen wir nur mit ihr machen?“ Agatha rang ihre Hände.
„Aussetzen?“, schlug Beatrix vor.
Sie hatte mich nie sonderlich gemocht. Vielleicht lag das daran, dass ich mit vier Jahren versehentlich ihre Bibliothek angezündet hatte.
Portia schwieg. Ihr abschätzender Blick ließ nichts Gutes ahnen. Aber zu ihrer Verteidigung muss ich sagen, dass sie es mit mir nicht besonders leicht hatten.
„Dabei ist Küchenmagie nun wirklich nicht besonders schwer“, meinte Beatrix.
„Ich muss schon bitten!“, empörte sich Agatha. „Eine gute Küchenhexe muss genau wissen, was sie tut. Die Wirkung ihrer Zutaten hängt von deren Dosierung und Zusammensetzung ab.“
Eigentlich hatte Beatrix recht, es war wirklich nicht so schwer. Zimt und Vanille für Liebe und Lust, Lavendel für die Ruhe und Sandelholz zum Schutz. Ich hatte alles auswendig gelernt, ich konnte die Sprüche, die Armbewegungen, ich rührte den Kuchenteig in die richtige Richtung. Und trotzdem kam alles, was ich anfasste, irgendwie falsch raus. Verdorben.
„Vor allem, wenn man bedenkt, von wem sie abstammt“, fuhr Beatrix ungerührt fort.
Portia sagte immer noch nichts, sah mich nur an.
„Die arme Ruth“, schniefte Agatha.
Es half alles nichts, ich musste kurz meine Augen schließen, um Portias Blick zu entkommen. Jedes Mal, wenn sie meine Mutter erwähnten, machte mich das traurig. Ich habe sie zwar nie kennengelernt, sie starb kurz nach meiner Geburt. Aber deswegen darf ich sie trotzdem vermissen, oder?
„Wir vermissen sie alle“, sagte Portia.
Irrte ich mich, oder wurde ihr Blick tatsächlich etwas weicher? Meine Mutter und die drei Schwestern waren gemeinsam zur Schule gegangen. Vor allem mit Portia war sie auch danach noch gut befreundet gewesen. So gut, dass diese sogar ein verwaistes Baby aufnahm (keine Ahnung, wer mein Vater war, Männer haben in unserer Familie nie eine große Rolle gespielt.)
Agatha schniefte erneut und sogar Beatrix wischte sich verstohlen die Augen.
„Aber machen wir uns nichts vor“, sagte Portia. „Du hast rein gar nichts von ihren Fähigkeiten geerbt.“
Offensichtlich.
Meine Urgroßmutter war die Beste gewesen. Eine Küchenhexe vom allerfeinsten, warmherzig und voller Liebe für alle Geschöpfe. Sie hatte auf dem jährlichen Bauernmarkt jedes Mal den Backwettbewerb gewonnen. Ihr Kirschkuchen war legendär. Nicht nur, weil er besonders lecker schmeckte, sondern weil er Liebende zusammenbrachte, Streithähne miteinander versöhnte und Misanthropen in Wohltäter verwandelte. Jede Frau in unserer Familie konnte das. Bis ich ankam. Und so sehr ich mich auch bemühte, so sehr ich auch versuchte, Liebe und Wohlgefallen in einen Teig zu kneten oder entspannende Plätzchen zu backen, irgendwie kam immer das Gegenteil dabei heraus.
„Was soll nun aus der Bäckerei werden?“ Agatha wischte sich mit dem Zipfel ihrer Küchenschürze über die Augen.
Der kleinen Laden wurde seit Generationen von der Mutter an die Tochter vererbt, zusammen mit den magischen Fähigkeiten. Eine alte Tradition, eine buchstäblich zauberhafte Bäckerei, die Menschen aus dem ganzen Landkreis in unsere kleine Stadt zog. Agatha hatte ihr Bestes getan, den Betrieb mit Portias Hilfe aufrechtzuerhalten und wenn sie auch eine leidenschaftliche Küchenhexe war, so kam sie doch nicht an das heran, was meine Mutter und die Frauen aus ihrer Familie vorher zustande gebracht hatten.
„Und vor allem“, sagte Beatrix, „Was soll nun aus diesem Mädchen werden? Sie ist alt genug, eine Lehre anzutreten, verfügt aber über keine nennenswerten Fähigkeiten.“
Wie oft ich das schon gehört hatte. Morgens, mittags, abends. Agatha war ja noch erträglich, sie gab immer noch ihr Bestes, mir das Backen und Kochen beizubringen und war über ihre Misserfolge ehrlich betrübt. Aber Portia und Beatrix hatten mich schon lange aufgegeben. Ich war sicher, dass Portia es schon oft bereut hatte, mich damals aufzunehmen.
Ich hatte es langsam satt. „Vielleicht will ich die blöde Bäckerei ja gar nicht!“
Ein entsetztes Schweigen legte sich über die Küche. Agatha bekam große Augen, Beatrix rutschte fast die Brille von der Nase und Portia presste ihre Lippen zusammen.
„Niemand hat mich jemals gefragt, was ich mit meinem Leben anfangen möchte!“
„Aber, Kind …“, stotterte Agatha.
„Ich bin kein Kind mehr!“
„Dann hör auf, dich wie ein störrisches Gör zu benehmen“, fuhr Portia mich an. „Entsorge dieses … Unding“, sie deutete auf den Sauerteig, der beleidigt zischte, „und räume hier gründlich auf. Wir werden uns derweil zu einer Beratung zurückziehen.“
Das bedeutete, sie würden die Karten konsultieren, Salbei verbrennen und vor allem Agathas Kirschlikör trinken. Der Abend war gelaufen. Ich kickte mit dem Fuß nach dem Tischbein. Der Sauerteig rülpste. Er konnte nichts dafür, dass er böse war. Ich konnte nichts dafür, dass mir immer alles so fatal misslang. So konnte das nicht weiter gehen. Zu irgendwas musste ich doch nützlich sein?
Eine Zeitung rutschte vom Tisch, eine Seite schlug sich wie von selber auf: Stellenangebote. Ich las die dicke, fette Überschrift einer ganz besonders großen Anzeige: Giftmischer der Königin sucht Lehrling. Bitte Arbeitsproben mitbringen.
Der Sauerteig kicherte.
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Ein neues Jahr, ein neues Thema. Diesmal lassen wir uns von unseren Lieblingssongs zu phantastischen Geschichten inspirieren.
Im Februar ist es der Song Cherry Pie von Katzenjammer.
C.A. Raaven macht den Anfang mit Schicksal à la Marta.
Maike Stein erzählt uns Vom Suchen und vom Finden.
Und bei Alexa Pukall wird es Zuckersüß.
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