Simsalabim – Kurzgeschichte

Simsalabim – Kurzgeschichte

Die allerletzte Vorstellung des Zauberers war beendet. Der große Manuel hatte mit einem Knall abgehen wollen, stattdessen wurde er ausgelacht. Vielleicht hätte er sich für seinen letzten Auftritt keinen Kindergeburtstag in einer schicken Villa voller reicher, gelangweilter kleiner Kröten aussuchen sollen. Andererseits, viel Auswahl hatte er auch nicht gehabt.

„Kannst du wirklich zaubern?“ wollte ein dünnes Stimmchen wissen.

Früher hatte er das mal geglaubt.

„Verschwinde“, knurrte der große Manuel.

„Nein, sag doch mal!“

Das Mädchen vor ihm schien neun oder zehn Jahre alt zu sein, sie steckte in löcherigen Jeans und einem viel zu großen Baumwollhemd. Keine von den verwöhnten Kröten da drin. Vielleicht die Tochter der Köchin, oder so.

„Kannst du?“

Er hätte den Kartentrick nicht versuchen sollen. Sein Rheuma war heute besonders schlimm. Kein Wunder, dass ihm alles im hohen Bogen davon geflogen war.

„Ich glaube ja, du kannst wirklich zaubern.“

„Simsalabim“, sagte der Zauberer. „Lös‘ dich in Luft auf!“

Den Trick hatte er früher beherrscht wie kein anderer. Allerdings war er selber derjenige, der sich in Luft aufgelöst hatte. Und zwar immer dann, wenn eine seiner entzweigesägten Jungfrauen keine mehr war und plötzlich heiraten wollte. Nicht mit ihm. Die Frau, die den großen Manuel bezaubern wollte, musste erst noch geboren werden.

„Das war nicht echt“, merkte die kleine Göre kritisch an.

Früher hatte Manuel hübsche Assistentinnen gehabt, die die Aufmerksamkeit des Publikums von kleinen Patzern ablenkten. Wenn er die Süßen nicht so schnell ausgetrickst hätte, immer eine mit der anderen, wäre vielleicht eine bei ihm geblieben. Das Kaninchen im Zylinder machte leise Geräusche. Der große Manuel zog eine labberige Karotte aus seiner Hosentasche und warf sie in den alten Hut.

„Geh wieder rein. Geh zu den anderen.“

Die Göre schüttelte den Kopf. „Ich will richtige Magie sehen.“

„Das kostet.“

Sie zog ein paar Münzen aus ihrer Hosentasche. Der große Manuel schüttelte den Kopf.

„Wenn der Zauber funktionieren soll, musst du etwas persönliches Opfern. Am besten ein paar Tropfen Blut.“

Das würde die Göre garantiert abschrecken. Doch die Kleine zog ein schmales Taschenmesser aus ihrer anderen Hosentasche und schnitt sich ohne mit der Wimper zu zucken in den Zeigefinger. Blut tropfte auf die Glitzersterne von Manuels blauem Umhang.

„He“, sagte der Zauberer aufgebracht, „Pass doch auf!“

„Und jetzt?“

„Verschwinde, du kleiner Satansbraten!“

Die Göre sah enttäuscht aus. „Mama hat gesagt, du wärst nur ein Betrüger. Ich habs ja nicht geglaubt.“ Da war etwas in ihrem Gesicht, das erinnerte den großen Manuel an ein süßes Mädel in München. Oder war es Hamburg gewesen? Egal.

„Was redest du da für einen Blödsinn?“

Täuschen und ablenken. Das war sein Metier.

„Mama hat es nicht leicht gehabt, nach dem du dich in Luft aufgelöst hast“, sagte die Göre.

Verflucht. Manuels schlimmster Albtraum wurde war: ein Balg, das Unterhaltsanspruch erhob. Wer wusste schon, was das alles noch nach sich ziehen würde?

„Ich weiß nicht, wovon du sprichst. Verschwinde endlich!“

„So wie du?“, wollte die Göre wissen. „Ich kann was viel besseres.“

Sie machte eine komplizierte Handbewegung. Die Welt des Zauberers schlug einen Salto. Das letzte, was der große Manuel ganz bewusst spürte, war ein überwältigendes Verlangen nach Möhrchen. Seine Nase zuckte aufgeregt.

„Keine Angst“, sagte das Mädchen. „Mama und ich sind Vegetarier.“

 

 

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Diese Kurzgeschichte entstand zur Langen Nacht der Volkshochschule Reinickendorf (September 2019), und wurde dort auch vorgetragen.

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