Schnell und Schmerzlos

Schnell und Schmerzlos

Die kleine Assassine schlich durch die Dunkelheit. Es war eine kühle Herbstnacht, die nach Regen und Holzfeuern roch. Sie hatte ursprünglich einen netten Abend mit ein paar Freunden in der Taverne verbringen wollen, aber dann war dieser dringende Auftrag hereingekommen.

Assassinen hatten keine Freunde. Wenn man eine berufsmäßige Mörderin war, schreckte das die meisten Menschen ab. Aber innerhalb der Gilde knüpften sich durchaus Kontakte, und manchmal ging es über das bloße fachsimpeln (Dolch oder Schwert, Gift oder Strick?) hinaus.

Die kleine Assassine war bei ihren Kolleginnen und Kollegen beliebt aufgrund ihres sonnigen Gemütes und ihres untadeligen Berufsethos. Schnell, sauber und so schmerzlos wie möglich. Sie war gut und sie war stolz darauf. Stammte sie doch aus einer langen Familientradition. Schon ihre Ur-Ur-Urgroßmutter war Assassine gewesen.

Und was eine Assassine als Erstes lernte, war: Auftrag ging vor Privatleben.

Die Gilde unterstand dem jeweiligen Herrscher der Stadt. Der augenblickliche war weder so dumm noch so gierig wie seine Vorgänger, deshalb hatte er sich auch länger als alle gehalten. Er setzte seine Assassinen nur spärlich und sehr gezielt ein. Selten innerhalb der eigenen Stadtmauern. Und gerade das machte diesen Auftrag so interessant.

Die kleine Assassine musste sich nämlich in eines der Stadthäuser des mächtigsten Kaufmanns vor Ort schleichen. Er hatte zwei öffentlich bekannte, und drei, von denen nur Eingeweihte wussten. Eines davon lag am Rand der Stadt, kurz vor der Stadtmauer, und war von einem weitläufigen Garten umgeben.

In ihrem Job war es von Vorteil, klein, schlank und flink zu sein. Stärke hatte sie sich zusätzlich antrainiert und Wände hochklettern konnte sie wie eine Spinne. Sie hatte die Anweisungen im Kopf: Haus, Stockwerk, Zimmer. Lageplan, Grundrisse. Und die Zusicherung, dass Wachen kein Problem sein würden. Sie war trotzdem vorsichtig. Es war immer gut, auf Überraschungen vorbereitet zu sein.

Die Assassine hielt sich in den Schatten, atmete flach und schlüpfte unerkannt ins Haus. Das letzte Zimmer im obersten Stock, am Ende eines schmalen Ganges … Licht flackerte durch den Spalt einer angelehnten Tür. Sie hielt inne, lauschte. Und hörte ein feines, leises Kratzen. Wie eine Tintenfeder über Pergament. Leise drückte sie die Tür etwas weiter auf und spähte in den Raum. Bücherregale bedeckten die Wände, auf dem Boden lagen dicke Teppiche und gleich neben dem Kamin, in dem ein kleines Feuer brannte, saß jemand an einem großen alten Schreibtisch. Die Person hatte ihr den Rücken zugekehrt und schrieb eifrig vor sich hin.

Das war beinahe zu einfach.

Zumal der Person ein dickes goldenes Band um den Hals lag, von dem eine lange Kette bis zu einem Ring in der Wand führte. Der kleinen Assassine war nicht wohl dabei. Es lag keine Ehre darin, einen angeketteten Menschen zu töten. Aber Auftrag war Auftrag.

Die Assassine zog behutsam ein Messer aus ihrer Hosentasche. Von hinten ins Herz, das ging schnell und leise. Sie näherte sich dem Schreibtisch …

„Ich habe dich schon erwartet.“

Die Kette klirrte. Eine Frau drehte sich zu ihr um. Sie hatte kurze, weiße Haare, ein faltiges Gesicht und durchdringend blaue Augen. Die Assassine erstarrte mitten in der Bewegung.

„Seit wann schickt die Gilde Kinder?“

Die Assassine war schon lange kein Kind mehr. Sie stellte sich sehr gerade hin und nahm die Kapuze vom Kopf. „Ich mag schmal sein und klein, aber es wäre ein Fehler, mich zu unterschätzen.“

Die Frau musterte sie interessiert und nickte. „Bitte entschuldige.“ Sie hielt ihre Tintenfeder hoch. „Mein Fehler. Ich habe dich nicht detailreich genug geschrieben. Wie heißt du?“

Die Assassine wollte antworten, doch ihr fiel es nicht ein.

„Nein“, sagte die Frau, „Natürlich nicht, wie dumm von mir. Was hältst du von … Ryna?“ Sie drehte sich wieder um, tauchte die Feder in das Tintenfass und begann, ein paar Zeilen zu schreiben.

Ryna schüttelte den Kopf. Was ging hier vor? Ihr Griff um das Messer verstärkte sich. Es galt, einen Auftrag auszuführen, und sie hatte noch nie versagt. Aber es hatte sich auch noch nie einer ihrer Aufträge so merkwürdig verhalten. Die Assassine machte einen weiteren Schritt nach vorne. Die Frau hörte auf, zu schreiben. Ryna blieb stehen.

„Schnell, sauber und so schmerzlos wie möglich“, sagte die Frau vor ihr leise, ohne sich umzudrehen.

Genau das hatte Ryna gerade vorhin noch gedacht. Sie blickte sich verwirrt um. Auf dem Schreibtisch lagen eng beschriebene Pergamente. Ryna konnte wiederholt den Namen des reichen Kaufmannes erkennen. Seine jüngsten Errungenschaften, seine Schiffe, sein Gold. Der Kaufmann war vor kurzem wie aus dem Nichts gekommen und hatte mit seinem Geld sehr schnell Macht und Einfluss in der Stadt erwirkt. Kein Wunder, dass der Stadtherr ihn sich vom Hals schaffen wollte. Man hatte hinter vorgehaltener Hand bereits von Hexerei gemunkelt.

Ryna starrte auf die Tinte in dem Fässchen, auf die dunkelrote Spitze der Feder. Auf die getrocknete Schrift der Pergamente, ein rostiges Braun. Keine Hexerei, sondern …

„Du bist eine Wahrschreiberin!“, platzte sie heraus.

Die weißhaarige Frau seufzte. „Ich hätte dich nicht so intelligent machen sollen.“

„Aber, ich dachte, ihr wärt nur eine Legende, ein Märchen?“

„Das werden wir bald sein. Ich bin die Letzte meiner Art.“

„Und alles, was du schreibst, wird wahr?“

Gold, Schätze, Liebe, Macht. Ruhm. Der kleinen Assassine wurde leicht schwindlig.

„Wenn ich die Feder in mein eigenes Blut tauche, ja.“ Die Frau schob den Ärmel ihrer Bluse hoch und enthüllte ein Netz von alten und neuen Narben und Wunden auf ihrem Unterarm. Der Assassine stockte der Atem. Tod war ihr Geschäft, doch Folter verabscheute sie aus ganzem Herzen.

„Und der Kaufmann…?“

„Hat mich gefangen. Ich hatte mich sicher gefühlt, dort, wo ich lebte. Aber ich hätte es besser wissen müssen.“ Der Widerschein des Feuers zeichnete tiefe, müde Furchen in ihr Gesicht.

„Das verstehe ich nicht. Wenn alles, was du mit deinem Blut schreibst, wahr wird, warum schreibst du dich dann nicht hier raus?“

Die Frau lächelte bitter. „Ich kann nur für andere wahrschreiben. Niemals für mich selbst. Obwohl, heute Nacht habe ich es zum letzten Mal versucht.“

Ryna starrte auf das Messer in ihrer Hand. Nicht der Stadtherr hatte sie engagiert.

Sondern …

„Mach es schnell, bitte. Ich habe dieses Leben restlos satt.“

„Du brauchst Ruhe und gutes Essen“, sagte die Assassine. „Und eine Heilerin.“ Entschlossen steckte sie das Messer wieder ein.

Die Frau lachte bitter. „Siehst du, es funktioniert nicht. Nicht für mich selbst.“

Ryna studierte das Schloss am Halsband. Sie zückte einen kleinen Metallstift und hatte es in wenigen, geschickten Bewegungen geknackt. „Ich glaube, es funktioniert sogar weit besser, als du dachtest.“

Das Halsband schlug mit einem dumpfen Poltern auf dem Teppich auf. Die Wahrschreiberin betastete vorsichtig ihre wunde, gerötete Haut.

Ryna griff alle Pergamente und schleuderte sie in den Kamin. Kurz leuchtete die Schrift, blutrot, dann zerfiel alles zu Asche.

Die Assassine streckte ihre Hand aus.

„So hatte ich das nicht geplant“, sagte die Wahrschreiberin und ergriff sie zögernd.

Ryna lächelte. „Es sind die ungeplanten Dinge, die uns lebendig machen.“

Die beiden Frauen verschwanden in der Nacht, und das war das Letzte, was man je von einer Wahrschreiberin gehört hat.

So wahr ich das hier schreibe.

 

 

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Bei C.A. Raabe gibt es einen Kunstgriff.

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