Opfer
„Cora, mein Kätzchen.“
Die Stimme, alt und zittrig, schrillte ihr wie eine misstönende Klingel im Ohr. Cora zwang sich trotzdem ein freundliches Lächeln auf die Lippen, darin hatte sie Übung.
„Fred. Wie geht es Ihnen?“
Der Alte ruckelte fröhlich mit seinem Rollator voran.
„Bei ihrem Anblick gleich viel besser.“
Cora rückte ihr Dekolleté zurecht. Die normale Pflegetracht bot nicht viele Möglichkeiten, ihre Reize auszuspielen, aber heute trug sie ein Katzen-Kostüm, denn es war Fasching im Seniorenheim Herbstabend. Einige der Bewohner hatten die Heimleiterin dazu überredet. In Folge dessen waren die letzten Wochen doppelt so schlimm wie sonst gewesen. Große Aufregung, nächtliche Schaflosigkeit und vermehrte Inkontinenz. Gut nur, dass die Chefin beide Augen zudrückte, wenn man etwas großzügiger mit den Beruhigungsmitteln umging. Ständig Windeln wechseln musste auch nicht sein. Wenn die alten Knacker sich nicht zusammenreißen konnten, dann durften sie ruhig mal länger mit den Konsequenzen klarkommen.
„Darf ich bitten“, krächzte Fred, der einen grünen Anzug und dazu zwei kleine Bockshörnchen trug. Was das wohl darstellen sollte?
„Ich bin der große Gott Pan“, erklärte Fred, der ihren fragenden Blick aufgefangen hatte, vergnügt.
Cora ließ sich von dem alten Gott im Schneckentempo in den Speisesaal geleiten.
„Wie hübsch“, sagte Fred, als sie den Raum erreicht hatten.
Glücklicherweise hatte Cora nicht auch noch beim Umräumen helfen müssen. In der Mitte war Platz fürs Tanzen geschaffen und an der Seite das Buffet und die Bowle aufgebaut worden. Tanzen, noch so eine hirnverbrannte Idee. Man hatte sogar eine Band engagiert, die sich Magna Mater nannte. Dabei saßen viele Einwohner im Rollstuhl und die meisten anderen kamen ohne Gehhilfen und Rollatoren kaum vorwärts.
„Ein Schlückchen Bowle gefällig?“, bot Fred galant an.
Cora nickte und sah sich um, während der große Gott zum Buffet zockelte. Die hatten sich mit der Deko tatsächlich Mühe gegeben, auch wenn Cora rätselte, warum jemand das Thema Wald für passend gehalten hatte. Überall hingen grüne Girlanden, große Töpfe mit Farnen standen herum, die Tischdecken waren moosgrün. Sogar der normalerweise allgegenwärtige Geruch nach Urin und Desinfektionsmitteln war überdeckt von einem Duft nach regenfeuchter Erde und Gras. Irgendwie cool, das Ganze, aber Coras Ansicht nach verschwendet. Die meisten Anwesenden waren doch gar nicht mehr genug beisammen, um das überhaupt zu bemerken. Kostümiert hatten sie sich allerdings die meisten, und alle trugen seidig glänzende Halbmasken.
„Bowle für mein Kätzchen“, krähte Fred und drückte ihr einen randvollen Plastikbecher in die Hand.
Das Gesöff war dunkelgrün, es roch nach Pfefferminzlikör und Waldmeister. Cora wunderte sich, dass die Heimleiterin Alkohol erlaubt hatte, aber sie kippte es fix runter. Mit einem kleinen Schwips ließ sich alles besser ertragen. Fred winkte einer alten Dame zu, die im Rollstuhl saß.
Cora hatte nicht vor, mal genauso zu werden: alt, blöd, zahnlos vor sich hin sabbernd und nur noch auf den Tod wartend. So endeten doch nur Opfer. Sie war eine Macherin und dieser Job hier nur das Sprungbrett für ein tolles Leben. Allein im letzten Jahr hatte sie einige kostbare Schmuckstücke und einen ordentlichen Batzen Bargeld abstauben können. Die meisten Alten hier starben allein. Niemand kümmerte sich um Ringe, Ketten oder Armbanduhren. Es war schon ganz erstaunlich, was hier für Werte rumkullerten. Cora hatte schon ein hübsches Sümmchen zusammenbekommen und ihr Joker war der alten Fred hier, der auch was zu vererben hatte. Und dreimal durfte man raten, wen er als Erbin einzusetzen gedachte?
Cora fühlte sich wohl. Nein, sie fühlte sich großartig. Die Liveband war gar nicht so schlimm, wie sie dachte, der Rhythmus ging einem richtig ins Blut.
„Noch ein Schlückchen?“
Fred hatte mehr Bowle organisiert, Cora nahm sie gierig entgegen. Die alten Knacker um sie herum schienen an der Maskerade echt Spaß zu haben, also warum nicht auch sie? Wenn sie ihre Karten richtig ausspielte, dann war das hier ihr erstes und letztes Faschingsfest im Herbstabend. Sobald Fred sein Testament gemacht hatte, konnte sie ein wenig nachhelfen. Es gab da Mittel und Wege, wie man die alten Knacker etwas schneller ins Jenseits befördern konnte, Gott hin oder her. Niemandem würde auch nur das Geringste auffallen, das wusste Cora aus eigener Erfahrung.
„Darf ich um diesen Tanz bitten?“
Der Stimme und Figur nach steckte unter der schwarzen Vogelmaske der alte Henry aus Zimmer 237. Noch ziemlich gut beisammen und früher mal bestimmt ein hübscher Bursche, aber nicht in Coras Plan. Sie warf einen kurzen Blick auf den großen Gott Pan, der leutselig lächelnd nickte. Und schon wurde sie in Henrys Armen davon gewirbelt. Erstaunlich, was der Alte für eine Energie hatte. Cora wurde ganz schwindelig. Oder lag das an der Bowle?
Mittlerweile schienen alle Masken zu tanzen, oder sich zumindest irgendwie rhythmisch zu bewegen. Cora wurde in einen Strudel aus Musik und Grün hineingezogen. Gehstöcke stampften den Takt bis der Boden vibrierte, ein wilder Moschusgeruch lag in der Luft, alles drehte sich immer schneller und schneller. Cora war heilfroh, als Henry endlich anhielt und sie sich gleich neben dem Buffet auf einen Stuhl fallen lassen konnte. Ihr Körper fühlte sich schwer und träge an und das Schwindelgefühl ließ nicht nach.
„Entspannen Sie sich, meine Liebe“, sagte der Vogelmann und tätschelte ihre linke Hand.
Cora spürte ein kurzes Piksen im Handgelenk. Sie wedelte schwach mit der Rechten.
„Mücke“, lallte sie.
„Schon weg, keine Sorge“, sagte der Vogelmann.
Cora spürte, wie sie eine große Müdigkeit überkam. Und dann träumte sie einen völlig verrückten Traum, in dem ihr rechter Arm über dem großen Bowlengefäß hing und das Blut aus ihrem Handgelenk hineintropfte. Die Masken kamen nacheinander, um sich davon etwas zu trinken geben zu lassen und der große Gott Pan füllte deren Becher. Alle lachten, freuten sich und Cora sah zu, wie sie immer jünger wurden. Stöcke und Gehhilfen flogen beiseite, die Musik wurde lauter, der Tanz immer wilder. Als das Gefäß schließlich leer war, kam ein hübscher, gut gebauter junger Mann lächelnd auf sie zu. Er war splitternackt, abgesehen von einem paar mächtige Hörner, die ihm aus dem Kopf zu wachsen schienen. Er verneigte sich vor ihr.
„Danke für dein Opfer.“
Cora wollte protestieren, aber sie bekam kein Wort mehr heraus.
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Im Februar hat unser #phantastischermontag ein besonders passendes Thema: Narrenmond. Das ist eine der alten Bezeichnungen für den Februar (wie z.B. auch Hornung, Schmelzmond, Taumond, Rebmond).
Auch Sporkel oder Spörkel wurde benutzt (Rheinland, Niederlande), abgeleitet von dem lat. Begriff Spurcalia, den die Kirche im Mittelalter den „sittenlosen Festen“ verpasste, die vom Volk gefeiert wurden. Diese alten Vorfrühlings- und Fruchtbarkeitsrituale wurden traditionell abgehalten um den Winter zu verabschieden. Die Dämonen von Kälte und Dunkelheit sollen durch Singen, Tanzen und Opfergaben vertrieben werden. Unter dem Einfluss der Kirche wurde daraus der heute übliche Fasching, beschränkt auf die Tage vor Aschermittwoch.
Glücklicherweise ist unsere Phantasie keineswegs beschränkt, und das Stichwort Narrenmond hat uns sofort beflügelt:
Los geht es mit Wer gewinnt, verliert (manchmal) von Maike Stein.
Bei C.A. Raaven gibt es einen Tanz im blassen Mondlicht.
Hier ist Das Ritual von Alexa Pukall.
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Viel Spaß beim Lesen.
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