Nachts sind alle Katzen grün
Eine Abkürzung durch die schmale Gasse zu nehmen, war ein Fehler gewesen, das hätte ich mir eigentlich gleich denken können. Aber es war spät, ich war müde und die große, dreckige Stadt lag mir wie ein Leichentuch schwer auf dem Gemüt.
Straßenlaternen stachen gelben Zähnen gleich aus dem abendlichen Nebel, irgendwo tropfte etwas stetig und zu meiner linken trappelten kleine Pfoten geschäftig davon. Schien ganz so, als würden die Ratten eine gute Nacht haben. Ich jedenfalls hatte einen arbeitsreichen Tag.
Ich hatte zwei durchgeknallte Werwölfe dingfest gemacht, eine alkoholisierte, randalierende Elfe aus einer Tram entfernt und einen renitenten Gargoyle wieder an seinen Platz auf einem Kirchturm zurückbefördert. Zum Dank wurde ich als Verräterin beschimpft, mit Dachziegeln beworfen und habe Kratzspuren am Oberarm. Es ist kein schöner Job, aber jemand muss ihn ja machen. Gestatten: Josephine Kit, genannt Jo. Beruf: Peacekeeper.
Ja, genau: Friedenshüterin.
Wir sind wenige, denn der Job ist schlecht bezahlt, einsam, und unser Ruf nicht der beste. Aber wenn keiner für Ruhe und Ordnung zwischen den Völkern sorgt, ob magisch oder menschlich, dann haben wir hier in kürzester Zeit das schönste Chaos und wahrscheinlich auch Krieg.
Und das will keiner.
Warum haben die Menschen auch alles kaputt gemacht, Wälder abgeholzt, Meere vergiftet, Land bebaut? Selber schuld, wenn es keinen Ort mehr gibt, an dem sich magische Wesen ungestört aufhalten können. Wir versuchen, uns so gut es geht unsichtbar zu machen. Diskret zu bleiben. Aber auch wir wollen leben und manche von uns eben auch in einer großen Stadt. Und einige kommen immer mal wieder unter die Räder. Ganz so wie Menschen auch. Aber die interessieren mich nicht jedenfalls nicht beruflich. Ich bin nur für die magischen Wesen zuständig, und jetzt hatte ich Feierabend.
Alles, was ich wollte, war, mir daheim ein heißes Bad zu gönnen und einen schönen schwarzen Tee zu kochen.
Bis ich am Ende der Gasse zwei in lange dunkle Mäntel gekleidete Gestalten sah, die sich über etwas am Boden beugten. Es sah aus wie ein Katzentragekorb. Etwas bewegte sich darin. Ein leises Grollen ertönte.
Mist.
Der Handel mit kleinen, dicken, gut gefütterten und verwöhnten Hauskatzen war illegal, auch wenn sie für einige magische Wesen einen außerordentlichen Leckerbissen darstellten. Es erzürnte die Menschen einfach zu sehr.
Job war Job und mein Feierabend erst mal dahin.
„He, Jungs, was gibt’s?“
Die beiden dunklen Gestalten drehten sich erschrocken zu mir um.
„Was ihr da tut, ist illegal, das wisst ihr hoffentlich.“
Ich schlenderte langsam näher. Im Licht einer flackernden Straßenlaterne konnte ich sehen, wie die beiden sich entspannten. Der eine, ein großer blonder Hühne mit Wallemähne, stammte garantiert aus einem Werwolf-Clan. Gut, dass wir keinen Vollmond hatten. Der andere, eine schmale, untersetzte Gestalt mit blauen Haaren, schien ein Elf zu sein.
Ich wusste, was sie vor sich sahen. Eine kleines, schlankes Wesen in zerrissenen Jeans, mit weißen Sneakern und einem pinkfarbenen Hoodie.
„Was geht’s dich an, Mädchen?“, brummte der Blonde.
„Geh lieber nach Hause, Kleine. Husch husch“, fügte Blauhaar mit schmierigem Grinsen hinzu.
Manchmal war es von Vorteil, jung und unschuldig auszusehen. Manchmal nicht.
„Ihr zwei verzieht euch jetzt besser, bevor ich böse werde“, sagte ich und holte meinen Ausweis hervor.
Dem Werwolf blieb das Lachen im Hals stecken. „Peacekeeper?“
„Stellen die jetzt schon Kinder ein?“, zischte der Elf.
Ich lächelte süß. „Ich bin älter, als ich aussehe.“
„Was willst du tun, uns mit einem Wiegenlied einschläfern?“
Blondie hatte sein Lachen wiedergefunden.
Ich seufzte. „Letzte Warnung. Haut ab und lasst den Katzenkorb da. Sonst könnt ihr euer blaues Wunder erleben.“
Der Elf sah sich um. „Hat sie Kollegen mitgebracht?“
Der Werwolf verengte seine grünen Augen. „Nein. Sieht aus, als wäre sie ganz allein.“
Beide wechselten einen kurzen Blick, dann kamen sie auf mich zu. Ich nahm meine Mütze ab. Es war ein hübsches, handgestricktes Exemplar in pink, das meine Ohren ganz wunderbar wärmte. Aber das war nicht der einzige Grund, weshalb ich sie trug.
Meine Schlangen entringelten sich sofort, froh darüber, frische Luft zu bekommen. Ich konnte kleine Zischlaute des Wohlbehagens hören. Dann entdeckten die zwei traurigen Gestalten vor mir. Blondie prallte zurück, der Elf wandte sich zur Flucht. Zu spät. Ein Blick genügte und mein Schlangenhaupt verwandelt sie zu Steinfiguren.
Das kann passiert, wenn du von einer Medusa abstammst. Meistens ist es nervig, aber für diesen Job auch ganz nützlich. Ich schlenderte an den beiden erstarrten Figuren vorbei und klopfte dem Blauhaarigen auf die Schulter.
„Keine Angst, es hält nur zwei Stunden an. Bis dahin habe ich meinen Kollegen Bescheid gesagt, wo sie euch finden können. Viel Spaß im Gefängnis.“
Aus dem Katzenkorb ertönten Kratzgeräusche. Ich verstaute mein Schlangenhaar wieder unter der Mütze, sicher war sicher.
„Sorry, Mädels. Nachher machen wir uns einen ruhigen Abend, versprochen.“
Ich öffnete den Korb.
„Los, ab nach Hause mit dir. Und lass dich nicht wieder einfangen.“
Ein kleines grünes Etwas schoss aus dem Korb und schüttelte sich. Grün? Und Schuppen hatte es ebenfalls, dazu eine Schnauze und Flügel. Flügel?
„Großer Gott Pan.“
Ich bückte mich. Der kleine Drachen starrte mich aus roten Augen an. Davon hatte ich schon gehört, es aber bisher als wildes Gerücht abgetan: Hosentaschendrachen. Eine spezielle Züchtung, die als Haustier für viel Geld an reiche Menschen verhökert wurden.
„Junge, junge“, sagte ich zu den erstarrten Spitzbuben. „Ihr steckt ordentlich in der Klemme.“
Jegliche Manipulation magischer Wesen war streng verboten. Ich zog mein Smartphone aus der Tasche (klar, wir benutzen menschliche Technik, wann immer es sinnvoll scheint) und tippte eine schnelle Nachricht an die Zentrale. Der kleine Drachen strich um meine Beine.
„Du bist Beweismaterial“, sagte ich.
Er nieste possierlich. Ein orangerotes Flämmchen entströmte seiner Schnauze. Ich dachte an die kalte, dunkle Asservatenkammer auf dem Revier. Ich dachte an Doktor Jones, unseren hauseigenen Wissenschaftler, der gerne alles Neue auseinandernahm und gründlich sezierte. Ich dachte an meine Badewanne und den Tee. Keiner verlangte, dass ich noch hier blieb. Der Fall war klar, und ich hatte längst Feierabend.
„Hau ab, such dir ein sicheres Plätzchen, irgendwo anders.“
Ich machte eine scheuchende Handbewegung. Der kleine Drachen legte den Kopf schief und blickte mich fragend an. Fein, dann eben nicht. Am Ende ist jeder für sich selbst verantwortlich.
„Mach’s gut.“
Ich drehte mich um und ging. Unter meiner pinkfarbenen Mütze rumorte es.
„Still, Mädels. Kommt gar nicht infrage.“
Meine Schlangen reden nicht mit mir. Aber ich weiß trotzdem immer, was sie denken (schließlich steckten sie in meinem Kopf). Na gut, fast immer.
Hinter mir raschelte es. Und dann landete etwas Grünes auf meiner rechten Schulter.
„Hey!“
Der Drache schmiegte sich an meine Wange und gab ein kleines, grollendes Geräusch von sich, das wie ein Schnurren klang und seinen ganzen Körper zum Vibrieren brachte. Er war warm. So wie eine Teekanne.
„Ich muss dich irgendwann sowieso auf dem Revier abliefern.“
Er schnurrte unbeirrt weiter.
„Haustiere sind nicht mein Fall.“
Er rieb seinen Kopf an meiner Wange.
„Wir werden ganz schön Ärger bekommen.“
Er schnaubte, es klang leicht belustigt. Glücklicherweise feuerfrei.
„Auf alle Fälle sollte man dich vorläufig besser nicht sehen.“
Er kletterte an meinem Hoodie herunter und machte es sich in der Seitentasche bequem. Was jetzt? Ich konnte immer noch behaupten, dass er getürmt war, während ich mich um Werwolf und Elf kümmerte. Im Geist ging ich schon meinen Kühlschrank daheim durch.
„Magst du Würstchen?“
In meiner Seitentasche brummte es zufrieden.
Was für ein Tag.
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Im Mai schreiben wir Urban Fantasy. Maike Stein hat hier ein paar Gedanken dazu beigetragen.
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Bei C.A. Raaven heißt es Get your guide.
Und Maike Stein zeigt uns ein Fundstück.
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