Flötentöne
Kurz vor Mitternacht traf Nicki den großen Gott Pan im Wald. Nachdem sie zusammen mit ihrer Clique drei Stunden lang durch die Wildnis gestolpert war, über holperige Pfade, vorbei an dornigen Büschen, umschwirrt von sirrenden Mücken, hatte sie die Schnauze voll gehabt. Das kam eben davon, wenn man sich bei der Planung eines relaxten Wochenendes im Grünen auf die anderen verließ. Nicki hatte sich einen Moment lang auf das weiche Moos unter einen dicken Baum gesetzt, um sich auszuruhen. Großer Fehler. Denn als sie aufwachte, war es bereits dunkel geworden und die anderen Knalltüten hatten sie einfach vergessen.
Nicki schulterte ihren Rucksack und machte sich, leise fluchend und stolpernd, auf den Rückweg, als sie plötzlich eine prickelnde Melodie und leises Gelächter hören konnte und kurz vor sich einen flackernden Schein erblickte.
Auf einer Lichtung mitten im Wald loderte ein Feuer, um das herum eine Gesellschaft spärlich bekleideter Nymphen gelagert war. Etwas erhöht auf einem Felsen thronte ein halbnackter Kerl mit dunklen Augen und wilden Haaren, der eine verlockende, süße Melodie auf einer Flöte blies. Die Nymphen umschmeichelten ihn, kraulten den breiten Rücken und gingen ihm generell auf jede nur erdenkliche Art und Weise um den Bart. Nicki erkannte ihn sofort. Schließlich las sie genug Fantasybücher, am liebsten solche, in denen es um alte Mythen ging.
„Entschuldigt die Störung. Hab mich verlaufen. Könnt ihr mir den Weg hier wieder raus zeigen?“
„Warum so schnell? Schließe dich uns an, schönes Mädchen“, sagte Pan, nachdem er sie anzüglich von oben bis unten gemustert hatte. „Ich kann dir alle nur erdenklichen Freuden bereiten.“
Daran hatte Nicki nun wirklich kein Interesse.
„Danke. Wie ich sehe, bist du bereits gut versorgt.“
„Für so einen süßen Happen habe ich immer noch Platz.“
Nicki rümpfte die Nase. „Wenn du überhaupt eine Chance haben willst, dann wasch dich erst mal. Du … riechst ziemlich kräftig.“
Seine buschigen Augenbrauen zogen sich warnend zusammen. „Das ist herb und männlich, das ist der Duft der wilden Genüsse, der Extase!“
„Ach so. Ich dachte, das wäre alter Ziegenbock.“
Eine der Nymphen kicherte leise, doch sie verstummte sofort, als Pan ihr einen fürchterlichen Blick zuwarf.
„Was weißt du denn schon, du Ungläubige. Meine Manneskraft ist legendär. Die Nymphen der Seen und Wälder reißen sich darum, von mir besprungen zu werden.“
„So wie die Nymphe Pitys, die nichts von dir wissen wollte, und die, nur damit sie dir entkommt, in eine Pinie verwandelt wurde? Oder die arme Echo, die du hast in tausend Stücke zerreißen lassen, weil sie keine Lust auf dich hatte? Ganz zu schweigen von Syrinx, deren Schwestern sie in ein Schilfrohr verwandelten, nur damit du sie nicht mehr belästigen konntest? Und dann gehst du auch noch hin und machst aus ihrem Schilfrohr eine Flöte.“
Die Nymphen murmelten zustimmend, einige rückten sogar ein wenig von Pan ab.
Er sprang auf und schrie: „Ich bin der große Gott Pan!“
Seine Stimme rumpelte und donnerte so laut durch den Wald, dass sich die Wipfel bogen und kleines Getier erschrocken in die Büsche flüchtete. Nicki hielt sich die Ohren zu. Die Nymphen drückten sich Schutz suchend aneinander, eine kleine, zierliche wimmerte leise.
Pan warf sich in die Brust und präsentierte sich vor Nicki. Zwischen den Ziegenzotteln lugte klein und leicht verschüchtert das hervor, auf das er wohl so stolz war.
Nicki seufzte gelangweilt. „Na ja, groß ist wohl relativ.“
„Du ungläubiges Weib, ich werde dir zeigen …“
„Nee, lass mal, danke. Kein Bedarf. Abgesehen davon hab ich alles schon gesehen.“
Jetzt kicherten schon zwei Nymphen. Pan brachte sie mit einem bösen Blick zum Schweigen.
„Du hast …?“
Nicki kramte in ihrem Rucksack herum und zog ihr Handy heraus.
„Alles was du als Frau heutzutage brauchst ist ein Twitter oder Whatsapp Konto, und zack, schon senden die Typen dir ihre dick pics.“
„Dick pics?“ hauchte eine Nymphe fragend.
„Schwanzbilder“, erklärte Nicki.
Sie scrollte durch ihr Handy und dann hielt sie dem großen Gott Pan das Display hin. Er trat näher und betrachtete die Bilder. Seine Augen wurden immer größer.
„Einfach so?“ wollte eine andere Nymphe wissen. „Ohne dass du sie darum bittest?“
„Genau“, bestätigte Nicki.
„Typisch Mann“, sagte eine dritte Nymphe und rümpfte ihr zierliches Näschen.
„Welche Frau würde schon um so was bitten?“, kicherte eine vierte.
„Als ob die Dinger so attraktiv wären“, fiel eine sechste ein.
„Genau, und dann erst diese runzeligen, haarigen Säckchen…“, sagte die erste.
Und dann brachen alle in haltloses Gekicher aus.
„Ruhe!“ schrie Pan.
Das Gekicher wurde etwas leiser, doch diesmal verstummte es nicht.
„Ich bin der Größte! Ich lasse mich von niemandem verhöhnen! Der große Gott Pan wird dir seine Männlichkeit beweisen, Weib, du wirst stöhnen und wimmern!“
Pan stürzte sich auf Nicki, aber die hatte bereits in weiser Voraussicht noch etwas anderes aus ihrem Rucksack geholt: eine kleine Sprühdose. Sie kniff die Augen zusammen, drehte ihr Gesicht weg und drückte auf ein Knöpfchen. Feiner weißer Sprühnebel hüllte Pans Gesicht ein. Er heulte auf, taumelte zurück, rieb sich die Augen.
„Hexenwerk!“
„Selbstschutz“, sagte Nicki ungerührt. „Willst du noch mal?“
„Neeeiiiiiiin!“
Pan drehte sich um und stolperte davon. Sein Stöhnen und Wimmern verhallte im Wald. Die Nymphen blickten erst einander, dann Nicki mit großen Augen an. Irgendwo schuhute ein Uhu vergnügt vor sich hin, eine sanfte Brise strich durch die Wipfel.
„Was war das?“, fragte eine Nymphe neugierig.
„Pfefferspray.“
„Oh, wo kann man das bekommen?“, wollte die kleinste Nymphe wissen.
„In der Stadt. Aber da kommt ihr wohl selten hin?
Die Nymphen nickten traurig.
„Hier, ich schenke es euch. Nur für den Fall, dass er wieder zurückkommt.“
Die Nymphen strahlten, bedankten sich und boten Nicki Obst und Wein an, die gerne zugriff. Sie tauschten Geschichten aus, sangen und lachten.
Es wurde dann doch noch ne ziemlich gute Nacht.
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Im März geht es bei #phantastischermontag auf in die Wälder:
Die sehr spannende Story von C.A. Raaven: No one knows.
Hier entführt euch Maike Stein zu einer ganz besonderen Wintersonnenwende.
Bei Alexa Pukall gibt es Ein stilles Jahr.
Unser Gastbeitrag kommt in diesem Monat von Jens Grabarske: Die Waldgeister.
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Viel Spaß beim Lesen.
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