Der Zauberer im KaDeWe

Der Zauberer im KaDeWe

Drei Tage vor Weihnachten rief der Chef des Sicherheitsdienstes den Zauberer in das größte Kaufhaus der Stadt. Er sollte sich beeilen, es wäre dringend. Der Zauberer hatte keine große Lust, sich in das Getümmel zu stürzen, aber ein Job war ein Job, und das KaDeWe zahlte hervorragend. Außerdem war das eine gute Gelegenheit, sich selbst etwas zu Weihnachten zu kaufen. Der Zauberer wünschte sich schon lange kuschelige rote Socken, doch eines der Probleme mit dem Zauberer-Dasein bestand darin, dass einem niemand mehr etwas schenkte. Jeder glaubte, er könne sich einfach so, mit einem Fingerschnippen, alle seine Wünsche erfüllen. Als wenn das so einfach wäre.
Menschenmassen drängelten sich hinein und wieder hinaus, Kinder bewunderten die bunten Schaufenster und ein irischer Kobold, der sich gegenüber dem Eingang stationiert hatte, spielte gälische Weihnachtslieder auf seiner Flöte.
„Hallo, Sean“, grüßte der Zauberer im Vorübergehen. „Wie läuft das Geschäft?“
„Wie geschmiert“, grinste der Kobold.
„Guck mal Mami, ein Zwerg!“, rief ein kleines Mädchen.
Sean verzog das Gesicht und murmelte „Kobold!“, doch als ein Geldstück in seine Mütze klimperte, lächelte er strahlend.
Der Zauberer eilte weiter. Vorbei am uniformierten Portier, einem Troll, der trotz seiner Muskeln Schwierigkeiten hatte, sich im Besucherstrom zu behaupten, hinein in die funkelnden Lichter. Der Sicherheitschef erwartete ihn händeringend an der Information.
„Wir müssen nach oben, kommen Sie schnell.“
Er zog den Zauberer mit sich die Treppen hinauf, und im nächsten Augenblick schon standen sie vor den Damenumkleidekabinen in der Dessous Abteilung. Mehrere aufgebrachte Frauen schwenkten diverse Unterwäschestücke, deren Anprobe ihnen eine Verkäuferin mit hochrotem Gesicht und schriller Stimme verwehrte.
„Beruhigen sie sich, meine Damen!“, rief der Sicherheitschef. „Hier ist aus Sicherheitsgründen gesperrt. Bitte nutzen Sie die Umkleiden auf der anderen Seite.“
Der Zauberer schnüffelte. Etwas roch verbrannt. Er trat vorsichtig ein. Ganz hinten, am Ende der Kabinenreihe, bauschte sich ein Vorhang. Ein kurzes Schnauben ertönte … und der Vorhang ging in Flammen auf. Der Zauberer näherte sich leise und schob vorsichtig seinen Kopf um die Ecke. Auf dem Kabinenboden hockte ein kleiner Drache und setzte mit einem weiteren kurzen Schnauben einen Stapel Seidendessous in Brand. Um ihn herum waren angekokelte Flugblätter verstreut, auf denen gefordert wurde:
Nieder mit den christlichen Lügen, zurück zu den Ursprüngen! Feiert Yul, nicht Weihnachten! Es ist die Wintersonnenwende, nicht der Geschenkerausch!
Der Zauberer ahnte, wo das herkam, und seufzte, woraufhin sich der kleine Drachen erschrocken umdrehte.
„Ganz ruhig. Ich bringe dich wieder nach Hause.“
Er vollführte einen kurzen Lähmungszauber, und klemmte sich das verdutzte, starre Tierchen unter den Arm. Ein zweiter Zauber sorgte für das Erlöschen aller restlichen Flämmchen und das Verschwinden der verbrannten Überreste.
„Wie süß“, sagte eine der Frauen vor dem Eingang. „Gibt es die in der Spielwarenabteilung? Ich muss unbedingt einen für meinen Neffen kaufen!“
Der Zauberer ließ sich vom erleichterten Sicherheitschef ein Bündel Geldscheine in seinen Umhang stecken. Dann erspähte er ein altbekanntes Gesicht in der Menge. Er steuerte schnell auf die Hexe zu und nahm sie beiseite.
„Holly, so geht das aber nicht. Du kannst nicht einfach einen jungen Drachen entführen. Stell dir nur vor, was seine Mutter gerade durchmacht.“
„Pah“, schnaubte die Hexe Holly. „Seine Mutter ist drüben auf dem Weihnachtsmarkt und bringt den Glühwein zum Glühen. Die ist viel zu betrunken, um ihn zu vermissen.“
„Trotzdem“, beharrte der Zauberer. „Und die ganzen Flugblätter?“
„Guck dir doch an, was sie aus dem Yul-Fest gemacht haben“, sagte die Hexe. „Nichts als Konsumterror. Kaufen, kaufen, kaufen. Keiner erinnert sich mehr an die Geburt der Sonne, an Licht und Hoffnung in der Dunkelheit.“
„Und das änderst du, indem du einen jungen Drachen auf halbbekleidete Damen loslässt?“
„Die sind ganz schön geflitzt“, kicherte Holly.
Der Zauberer verkniff sich ein Lächeln. Holly hatte nicht unrechte, aber er wollte sie nicht ermutigen. Wer wusste schon, was ihr als Nächstes einfallen würde.
„Versprich mir, dass du das nicht wieder tust. Oder ich muss dich vor den magischen Rat bringen.“
„Och, nicht die alten Knacker mit ihren langen weißen Bärten“, protestierte Holly. „Schon gut, ich mach’s nicht wieder.“
Aber das unternehmungslustige Funkeln in ihren grünen Augen strafte ihre Worte Lügen. Der Zauberer seufzte erneut.
„Ich hab noch kurz was zu erledigen. Aber dann gehen wir gemeinsam rüber zum Weihnachtsmarkt und bringen den Kleinen zurück. Ich erwarte, dass du dich entschuldigst.“
Holly setzte ihr süßestes Lächeln auf. „Trinken wir dann einen Glühwein zusammen?“
„Na gut, von mir aus.“
Und dann ging der Zauberer sich ein paar rote Socken kaufen.

 

 

_________________________________________________________

 

Der Geschichten-Adventskalender #AutorInnenimAdvent erscheint nun schon im zweiten Jahr auf diversen Social Media Kanälen, erdacht und organisiert via Facebook von der wunderbaren Juliane Schiesel

Dies ist das 19. Türchen. Gestern gab es eine Geschichte von Sina Müller, morgen ist Odine Raven dran.

Viel Vergnügen!

 

Leave comment

Your email address will not be published. Required fields are marked with *.