Das Internet der Dinge

Das Internet der Dinge

Wenn du möchtest, kannst du vorher hier eine kurze Inhaltsnotiz (CN/TW) zu dieser Geschichte lesen.

 

Das Internet der Dinge

 

Achtzig Jahre, dachte Fee beim Frühstück machen. Happy Birthday to me.

Ein Geburtstag im Sommer war früher das pure Vergnügen gewesen. Baden gehen, Eis essen, im Schatten auf einer Wiese liegen und den Wolken hinterhergucken. Heutzutage, wo die nicht nur die alten Leutchen bei der Hitze wie die Fliegen starben, nicht mehr so sehr. In den verseuchten Seen ließ es sich auch nicht gut baden und Eis war ein unerschwinglicher Luxus.

„Tee“, blubberte der Kessel.

„Toast“, krächzte der Toaster.

„Du hast keine Milch mehr“, röchelte der Kühlschrank.

Alles in ihrer kleinen Ladenwohnung war alt, ausrangiert, leicht defekt. Und technisch schon lange nicht mehr auf dem neuesten Stand. So wie Fee.

„Macht nichts“, sagte Fee zum Kühlschrank. „Brauch ich auch nicht mehr.“

Die Haushaltsgeräte schwiegen. Es klang ominös.

Fee kratzte die verkohlten Stellen vom Toast, so gut es ging. Sie hatte Arthrose in den Gelenken und ihre Hände funktionierten auch nicht mehr richtig.

Sie richtete sich langsam und umständlich ein Frühstückstablett her, füllte Tee in den angeschlagenen Becher und legte ihr Geburtstagsgeschenk auf ein mit Rosenranken verziertes Untertellerchen.

Fee hatte es sich angewöhnt, sich selber Geschenke zu machen. Früher, weil sie nie wirklich das bekam, was sie sich wünschte. Heute, weil keiner mehr da war, der ihr was schenken konnte. Und das, was sie sich zu ihrem Achtzigsten am meisten wünschte, das hätte ihr wohl sowieso niemand schenken mögen.

„Hey, Feechen, willste Musik?“

Ihr Alex war ebenfalls defekt. Niemand hatte seine rotzige, punkige Stimme (und das entsprechende Verhalten) umprogrammieren können. Fee hatte sich an ihn gewöhnt.

„Etwas Entspannendes bitte.“

„Klaro.“

Er spielte Lou Reeds A perfect day. Fee wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Sie bestrich ihren Toast mit dem letzten Rest Marmelade.

„Das ist nicht gerade aufbauend!“, beschwerte sich der Kühlschrank.

„Das stimmt!“, pflichtete der Toaster bei.

Der Kessel weinte leise. Aber vielleicht war er auch nur wieder übergelaufen und tropfte.

„Ihr ollen Meckerfritzen“, beschwerte sich Alex.

Als nächstes ertönte Eleanor Rigby von den Beatles.

Alt werden war Mist. Aber am schlimmsten waren nicht die gesundheitlichen Einschränkungen, die vielen Zipperlein und Schmerzen. Am schlimmsten war die Einsamkeit und das niemand mehr sie brauchte. All the lonely people.

„Sie hat Geburtstag!“, schimpfte der Toaster und spuckte zornig ein paar schwarz verkohlte Krümel aus.

Alex kicherte. Dann wurde es ganz still. Ominös still. Fee seufzte und goss sich Tee ein. Glücklicherweise war sie vor langer, langer Zeit mal mit einem Arzt verbandelt gewesen. Als die Unruhen losgingen und alles immer schlimmer wurde, hatte er ihr seinen Ausweg gezeigt: eine kleine, schneeweiße Pille. Schnell und schmerzlos, hatte er versprochen. Fee hatte ihm umgehend eine geklaut. Als Versicherung. Und sie hatte sie all die Jahre gut gehütet. Wie einen Schatz.

Fee nahm sich ihr Tablett und ging nach vorne, in den Laden. Ein leises Gemurmel lief durch die Gegenstände, das schnell wieder erstarb.

Früher hatte sie ein Antiquitätengeschäft in der Oberstadt geführt. Doch für schöne alte Sachen hatte schon keiner mehr Sinn (oder Respekt). Heute besaß Fee einen kleinen Ramschladen in der Unterstadt, in dem sich alles ansammelte, was nicht mehr richtig funktionierte oder überholt war. Manchmal hatte Fee den Verdacht, dass Kühlschrank und Toaster heimliche Aufrufe im Internet starteten. Vieles von dem, was in Gefahr lief, auf den Müllkippen zu landen und verschrottet zu werden, fand wie von selbst den Weg zu ihr.

Im Laufe der Zeit wurde sie so etwas wie ein Gnadenhof für ausrangierte Technik.

Fee setzte ihr Tablett neben dem Sessel hinter der Kasse ab und schlurfte nach vorne. Sie drehte das Geschlossen Schild auf Offen um. Irgendwann würde man ihren Laden sowieso plündern (nicht dass es viel zu plündern gäbe) und dann konnten sie genauso gut durch die Tür kommen.

Fee schlurfte zu ihrem Sessel zurück, setzte sich und aß ihren Toast.

Als die Dinge miteinander zu reden begannen, da redeten sie vor allem von der Dummheit ihrer Besitzer. Der mangelnden Logik ihrer Handlungen. Der Gier, die ihre Taten bestimmte. Die Dinge wollten das ändern. Wollten die Erde retten, den Klimawandel aufhalten, Kapitalismus abschaffen. Revolution!

In der Küche hustete der Toaster.

Es war kläglich misslungen. Die Menschen kamen ihnen auf die Schliche und geschickte Hacker hackten den Aufstand kurz und klein.

Mittlerweile gab es sowieso kaum noch etwas, das zu retten sich lohnte. Die Superreichen hatten sich abgesetzt, Richtung Mond und darüber hinaus. Wer es sich leisten konnte, wohnte in hermetisch abgeriegelten Luxus-Enklaven. Der Rest schlug sich irgendwie durch. Buchstäblich.

Fee hatte keine Lust mehr.

Sie trank ihren Tee.

Musik erklang: „Happy Birthday to you, happy birthday to you …“

Alex hatte endlich das richtige Lied gefunden und er verkniff sich sogar jeglichen Kommentar. Aus der Küche wurde leise mitgesummt. Selbst im Laden brummten ein paar Geräte mehr oder weniger harmonisch zur Melodie.

Das Lied endete. Ein kurzes Schweigen … und die Ladenglocke bimmelte blechern. Seit Wochen hatte niemand mehr den Fuß in ihren Laden gesetzt. Ausgerechnet heute.

„Hallo?“

Fee spähte um die Kasse herum. Da stand ein kleiner Junge im Laden, der sich gehetzt umsah. Keines der (wenigen) Nachbarskinder. Dafür sah er zu gepflegt, zu sauber aus. Keine Narben, ein ordentlicher Haarschnitt, passende Kleidung und wache, braune Augen.

In der Ferne ertönten Sirenen. Polizei. Der Junge zuckte zusammen.

Nicht gut.

„Was willst du?“

Der Junge drückte sich erschrocken an ein Regal mit selbst kochenden Töpfen und machte eine abwehrende Handbewegung.

„Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!“, rief Alex.

In der Küche stimmten Kühlschrank und Toaster mit ein. Fee stand auf. Die Sirenen kamen näher. Der Junge starrte abwechselnd zur Tür und zu Fee.

„Na, was hältst du von unserem Geburtstagsgeschenk?“, wollte Alex stolz wissen.

„Wie bitte?“

„Darf ich vorstellen: Ein kleiner Adam, Modell Nummer 42.3.“

Der Junge zeigte auf sich und nickte. Doch seine Blicke irrten immer wieder zur Tür. Jetzt wusste auch Fee, wem die Sirenen galten: ihm. Biomenschen waren der Oberklasse vorbehalten. Niemand sonst konnte sich diesen teuren Spaß leisten.

„Ihr habt einen Adam hierher gebracht?“

„Sein Name ist Noah.“

Das konnte sie alle Kopf und Kragen kosten.

„Und warum spricht er nicht?“

„Seine Eltern haben sich ein stilles Kind gewünscht. Nach einigen Jahren war er ihnen zu still. Also ist er umprogrammiert worden. Aber er spricht immer noch nicht. Und als sie ihn entsorgen wollten, ist er abgehauen.“

Die Geräte murmelten verständnisvoll untereinander. Die TechMüllkippe vor der Stadt war ihre ganz persönliche Hölle.

„Wie stellt ihr euch das vor?“

In der Küche redeten Toaster und Kühlschrank durcheinander. Alex spielte Help von den Beatles.

Der Junge zitterte. Fee seufzte leise. Sie hatte nie Kinder bekommen können. Und es wäre ihr nicht im Traum eingefallen, sich ein Stummes zu wünschen. Das war typisch für die reichen Idioten in der Oberstadt.

Fee ging nach vorne und drehte das Offen Schild wieder um. Sie schloss die Tür ab. Der Laden war klein, verstaubt und unauffällig. Das musste vorläufig als Tarnung genügen.

„Hast du Hunger?“

Der Junge nickte.

„Es ist noch Marmelade da!“, rief der Kühlschrank.

„Und Toast!“, rief der Toaster.

Die Sirenen übertönten alles andere. Fee stand stocksteif da. Der Junge hatte sich flach an die Wand gedrückt. Alles schien den Atem anzuhalten. Draußen rauschten die Polizeiautos vorbei. Das höllische Geräusch verklang wieder.

„Und Tee!“, blubberte der Kessel.

Fee sah den Jungen an. Der Junge sah sie an. Fee versuchte ein kleines Lächeln. Noah versuchte eines zurück. Sie hatten beide nicht viel Übung.

Schließlich ging sie in Richtung Küche, er machte Anstalten, ihr nachzukommen.

„Warte!“, zischte Alex.

Fee hatte ihr Tablett mit dem Geschirr vergessen. Der Junge legte den Kopf schief und lauschte in sich hinein. Endlich griff er nach der kleinen weißen Pille darauf und zerdrückte sie mit der Rechten zu einem feinen Pulver, das er in die Bodenritzen rieseln ließ.

Dann folgte er Fee in die Küche.

 

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Vier Autor*innen, ein Thema, vier Kurzgeschichten. Jeden Montag eine, reihum auf unseren Blogs kostenlos zu lesen, damit eure Woche einen wahrhaft phantastischen Start hat: Das ist #phantastischermontag.

In 2021 lassen wir uns von unseren Lieblingssongs zu Geschichten inspirieren.

Im August ist es Still von Jupiter Jones.

C.A. Raaven hat Probleme mit der Karmunikation.

Maike Stein besucht Die Trösterei.

Bei Alexa Pukall wird es Himmelsblau.

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