Teenage Witch

Teenage Witch

Meine Mutter ist echt peinlich. Megapeinlich. Sie hält sich für eine Hexe. Ich soll sie Star nennen, Stern. Dabei heißt sie eigentlich Helga. Und sie ist fest davon überzeugt, das ich auch eine bin. Ich, eine Hexe? Bloss nicht! Ich meine, ehrlich, wer will das schon?

Ich kann nie jemanden von der Schule mit nach Hause bringen. Weil ich nie weiß, ob Star nicht wieder mal nackt durchs Haus tobt. Überhaupt: unser Haus sieht aus wie eine Mischung aus Puff und Harem. Indische Kissen und Decken überall, Kerzen, Räucherstäbchen, Esomusik. Wenn ich an Patchouli und Sandelholz auch nur denken muss, wird mir schon übel.

In mein Zimmer lasse ich Star allerdings nicht rein. Da ist alles aufgeräumt und an seinem Platz. Und auf dem Schreibtisch steht mein Laptop. Mit dem gehe ich ins Internet, recherchiere, schreibe meine Hausaufgaben. Ohne den wäre ich total aufgeschmissen. Star wollte mir erst keinen kaufen. Sie hat ne totale Technikaversion. Aber ich hab mich durchgesetzt.

Und dann riecht es bei uns immer so komisch. Das sind Kräuter, behauptet Star. Aber ich weiß, dass das im Wintergarten ne Hanfplantage ist. Ich hab schließlich ne eins in Biologie. Ständig kocht Star irgendwelche Cremes und Elixiere in unserer Küche. Aber an so was simplem wie Nudeln mit Tomatensoße scheitert sie total. Ich hab von meinem Gesparten dann ne Mikrowelle gekauft, damit ich mir mal was warmmachen kann. Da ist sie total ausgeflippt, weil das schädlich sein soll. Dabei ist das ganze Universum voller Mikrowellenstrahlung.

Und als ich so ne blöde Warze hatte, sollte ich mich um Mitternacht über die Kloschüssel beugen und Hekate anrufen. Star hat die Warze ‚besprochen‘, und dann die Spülung betätigt. Aber alles, was passierte: mein Gesicht wurde nass. Weg gekriegt habe ich die Warze dann ganz allein, mit ner Creme vom Hautarzt.

Star glaubt auch an Astrologie. Das muss man sich erst mal klar machen. Irgendwelche Sternbilder, die Menschen total willkürlich festgelegt haben, vor hunderten von Jahren. Star ist zwar in Mathe eine Niete, und unsere Rechnungen kann sie auch nicht bezahlen, aber sie kann total gut Aszendenten berechnen und sie hat in den letzten Jahren schon dreimal das Ende der Welt bis auf den Tag und die Stunde genau bestimmt. Aber zu einer Verabredung pünktlich sein, das schafft sie nie. Als ich klein war, habe ich oft als letzte auf dem Schulhof gehockt. So lange, bis sich die Mutter einer meiner Klassenkameraden erbarmt und mich nach Hause gefahren hat. Ist vielleicht auch ganz gut so. Star sieht nämlich voll peinlich aus mit ihren langen, hennaroten Haaren, den Schlabberpullis und Birkenstocksandalen.

Ich hatte mal gehofft, dass sie irgendwann die Nase voll hat und sich ein neues Hobby zulegt. Aber nix da. Jetzt hat sie auch noch Freundinnen, die genauso schräg drauf sind. Nennen sich ‚Hexenzirkel‘, sind aber nur ein paar pathetische Singles, die sich volllaufen lassen und einander dann kichernd die Karten legen. Ätzend. Außerdem feiern sie Rituale im Garten. Fruchtbarkeitsrituale! Hexensabbat! Zünden Feuer an, springen drüber. Nackte Frauen Mitte vierzig, an denen alles schon rumbaumelt und schwabbelt. Machen schräge Musik und beschwören den Teufel. Gibt immer Typen, die das toll finden und gerne ihre Bierbäuche raushängen lassen. Wenn sie dabei problemlos einen wegstecken können, machen Kerle sowieso alles. Neulich wollte einer doch glatt, ich soll mitmachen, und Star war gleich begeistert. Laberte was von ‚Initiationsritus‘. Ich konnte es ihr gerade noch so ausreden.

Star sollte sich eigentlich schämen, ihre Zeit so zu verschwenden. Ich meine, was will sie denn erreichen? Die Zukunft liegt nicht in der Esoterik. Die Zukunft liegt in der Wissenschaft. Ich bin ne gute Schülerin. Ich mag Fakten. Klare Sachen. Naturwissenschaften. Es gibt für alles ne Formel, es gibt für alles ne Erklärung. Unerklärliche Phänomene? Da stellt man ne These auf, die wird in wissenschaftlichen Versuchen überprüft, und dann kriegt man schon raus, wie es läuft.

Ich gehe aufs Gymnasium. Ich hab immer ne Eins. In Mathe, in Chemie, in Physik. Ich will mal studieren. Irgendwas Naturwissenschaftliches. Ich stehe total auf Quantenmechanik. Auf die Bewegung der allerkleinsten Teilchen. Die können tatsächlich zwei Sachen auf einmal machen. Wie Wellen, die sich überlagern. Kennen Sie Schrödingers Katze? Die ist tot und lebendig zugleich. Und es gibt ne Theorie, die besagt, dass unzählige Multiversen da draußen existieren. Gleich nebenan! Das ist spannend. Ich schreibe darüber gerade ne Arbeit. Und wenn die gut ist, will mein Lehrer mir ne Empfehlung aussprechen. Der kennt da ein paar Leute. Dann kriege ich ein Stipendium, und dann gehe ich an die Uni. Ich werde Wissenschaftlerin.

Andere Eltern wären stolz auf mich. Aber meine Mutter nicht. Das muss man sich mal reinziehen: Star ist enttäuscht von mir. Weil ich doch so gar nix von ihren Kräften und Fähigkeiten geerbt habe. Und das würde sich in ihrer Familie doch durch Generationen hinziehen, immer von der Mutter an die Tochter weitergegeben werden.

So ein Blödsinn.

Es gibt keine geheimnisvollen Kräfte. Alles Wissenschaft. Wenn ich ihr das sage, fängt Star an zu diskutieren. Nützt aber nix, weil ich alle ihre Argumente problemlos entkräften kann. Wenn sie dann nicht mehr weiter weiß, schreit sie rum. Und am Ende heult sie nur noch, weil aus ihrem süßen kleinen Mädchen so ein kalter Mensch geworden ist. So ein Technikfreak.

Star ist echt ein hoffnungsloser Fall.

Dann komme ich aus der Schule nach Hause, will meine Arbeit weiterschreiben. Und da war mein Laptop weg. Da sind alle meine Recherchen drauf! Ich hätte ein Backup machen sollen, auf nen Stick, oder ne externe Festplatte. Aber wer kommt denn schon auf so was? Star war im Garten. Sie hatte mal wieder ein Feuer angezündet. Mittendrin mein schwarz verkohlter Laptop.

Sie war total bekifft. Laberte was von spiritueller Reinigung, dem Ausräuchern böser Geister und meiner wahren Bestimmung.

Ich bin voll ausgetickt.

Was die Welt im innersten zusammenhält ist eigentlich: nix. Weil alles ständig in Bewegung ist. Wellen sind Teilchen, Teilchen sind Wellen. Erst durch Wechselwirkungen entsteht was Festes, Bestimmbares. Ich habe das schon immer gewusst. Ich kann es sehen, wenn ich mich konzentriere.

Und ich kann da rein greifen und es ändern.

Total wissenschaftlich.

Stars quantenmechanischen Zustand zu ändern war für mich ein Kinderspiel.

Wo auch immer sie jetzt ist, ich wette, sie ist total stolz auf mich.

 

 

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