Kinderspiel

Kinderspiel

Der neue Teddybär wollte Leons Blut. Leon wollte nachts ruhig schlafen. Er war eigentlich zu alt für Teddybären, aber das war seinen Eltern egal. Sie brachten Leon mit, was ihnen pädagogisch wertvoll schien, gerne auch mal Puppen. Leon sollte schließlich ein Mann werden, der seine weiblichen Anteile integrierte und nicht unterdrückte. Leon schenkte die Puppen dem Nachbarmädchen, das diese gerne mit Nadeln spickte und dann im Garten vergrub.

Als Leon seinen Eltern erzählte, dass sein neuer Teddybär in Wirklichkeit ein Vampir war, zeigten sich beide hellauf begeistert. Mutter lobte seine Fantasie und Vater seinen Erfindungsreichtum. Natürlich glaubten sie ihm kein Wort, kramten aber trotzdem eine halb vertrocknete Knoblauchknolle aus dem Gemüsefach. Sie wollten die kindlich-kreative Entwicklung ihres Sohnes auf keinen Fall einschränken.

Der Knoblauch wirkte nicht. Kein Wunder, wenn man nur einen Knopf als Nase hatte. Der Teddybär wäre, so Vater, eine echte Antiquität. Das hieß, er war alt und hatte schon anderen Leuten gehört. Leon befürchtete, dass er wusste, was mit denen passiert war.

Er versuchte, den Teddybären zu pfählen. Dazu stahl Leon eines von Mutters chinesische Eßstäbchen und schnitze dessen Ende mit einem Gemüsemesser spitz. Dummerweise haben Teddybären kein Herz. Alles, was aus ihm herausquoll, war ein wenig rote Wattefüllung.

Mutter nähte die Wunde und Leon musste versprechen, künftig keine Gewalt mehr anzuwenden, denn Gewalt sei nur für dumme Menschen das Mittel der Wahl.

Dann verschwand die Katze, eine kühle Rothaarige, die Sylvia Plath hieß und gerne in der Küche neben dem Backofen schlief. Seine Mutter jammerte, der Teddybär grinste verschlagen.

Leon stahl das große japanische Filetiermesser und ein Feuerzeug. Dummheit hin oder her, er würde Teddy den Kopf abschneiden und Kopf und Körper getrennt im Garten verbrennen. Aber der Bär begann, sich im Haus an immer neuen Stellen zu verstecken. Leon konnte ihn einfach nicht erwischen.

Und dann tauchten die ersten Bißspuren an Leons Handgelenken auf. Mutter und Vater diskutierten die körperlichen Erscheinungsformen psychischen Erlebens in der Kindheit. Als Leon immer blasser und schwächer wurde, gingen sie mit ihm zu einem Arzt, der auf Insektenstiche tippte, und Leon ansonsten für völlig gesund erklärte. Der Kinderpsychologe, den sie als nächstes aufsuchten, attestierte Leon große Fantasie und die bräuchte eben ein Ventil. Ob er daran gedacht hätte, Schriftsteller oder Maler zu werden? Vater kaufte ihm sofort ein Moleskine Notizbuch und von Mutter bekam er Ölfarben und eine Leinwand.

Leon war nun dauernd müde, und er schlief viel. In seinen Träumen irrte er durch die Ruinen einer grauen, menschenleeren Welt aus Asche und Verderben. Ihm war klar, dass dringend etwas geschehen musste, und das Erwachsene keine Hilfe waren. Am Nachmittag kam ihn das Nachbarmädchen besuchen. Sie brachte als Geschenk eine Puppe mit.

„Das ist Vanessa“, sagte sie. „Vanessa Helsing.“

Die Puppe sah aus wie eine entschlossene junge Frau im Miniaturformat. Sie hatte grüne Augen, trug eine altmodische Hosen-Weste Kombination und hielt Strickzeug in den Händen.

„Die Nadeln sind aus echtem Silber“, flüsterte das Nachbarmädchen.

In dieser Nacht wurde Leon wach, weil etwas auf seiner Bettdecke herumtobte und knurrte. Die grünäugige Puppe kämpfte mit dem Teddybären, der seine Reißzähne nach ihr bleckte. Mit schnellen Prankenhieben versuchte der Bär, Vanessa zu erwischen, doch die wich seinen scharfen Krallen immer wieder geschickt aus. Die silbernen Stricknadeln blitzen auf, Vanessa stellte dem Bären ein Bein und noch während dieser fiel, versenkte sie die Nadeln in seiner Brust. Ein dumpfes Grollen ertönte, das schnell leiser wurde und schließlich ganz verstummte. Und dann zerfiel der Bär auf Leons Bettdecke zu einem kleinen Häufchen Asche.

Leon erholte sich schnell und hatte keine Albträume mehr. Er freundete sich mit dem Nachbarmädchen an, und seine Eltern freuten sich sehr, wenn er zu ihr rüber ging, um mit den Puppen zu spielen. Eines Tages kam Vater von einer Reise nach Amerika wieder und hatte Leon etwas mitgebracht. Es war ein kleiner Clown, an dessen Handgelenk ein roter Luftballon befestigt war.