Die grüne Fee

Die grüne Fee

Kurz vor Weihnachten saß ein junger Fantasyautor in der Kneipe Zum goldenen Zweig.
„Auf alle Spinner und Träumer dieser Welt!“, sagte er und leerte sein Glas.
Sein wortkarger Tresennachbar, ein hässlicher Riesenkerl mit breiten Schultern, grunzte unverbindlich.
„Noch mal“, bestellte der junge Autor.
Die Wirtin, eine schlanke goldblonde Frau in einem langen blauen Gewand, stellte ein gefülltes Glas vor ihn.
„Die Leute meinen, es gäbe keine Wunder mehr“, jammerte der Autor. „Es gäbe keine Magie in der Welt, keine Fabelwesen, keine Helden, keine Drachen.“ Er wandte sich seinem Tresennachbarn zu. „Sie lachen mich aus, weil ich über Einhörner und tapfere Helden schreibe. Keiner will meine Bücher lesen, geschweige denn kaufen.“
Der Riesenkerl hob fragend eine buschige Augenbraue.
„Mein Agent sagt, ich solle Romanzen einflechten. Die Leserinnen würden Liebesgeschichten verlangen.“
Der Riesenkerl grunzte zustimmend. Der junge Autor senkte vertraulich seine Stimme: „Ich habe noch nicht genügend Recherche auf diesem Gebiet betrieben. Wie kann ich über etwas schreiben, was ich nicht wirklich kenne?“
Hinter ihnen wurde gekichert. Der Autor wandte sich um. Drei Damen spielten Karten, eine strich gerade einen Stapel ein. Er hatte noch nie so ein merkwürdig buntes Blatt gesehen.
„Meine Mutter hatte recht“, sagte der Autor und drehte sich wieder zur Theke. „Sie wollte von Anfang an, dass ich was Solides lerne. Ich sollte Bankangestellter werden.“
Die goldblonde Wirtin schüttelte sich. Der junge Autor nickte.
„Ja, schrecklich. Aber vom Schreiben allein kann ich nun mal nicht leben. Und jeder Bestsellerautor bestätigt, dass es nicht nur gute Bücher, sondern auch eine ordentliche Portion Glück braucht, um Erfolg zu haben.“ Er leerte sein Glas. „Ich hab noch nie in meinem Leben Glück gehabt. Noch eins bitte.“
Die schöne Wirtin blickte ihn prüfend an. Hinter ihm kicherte die Damenrunde erneut. Es musste ein lustiges Spiel sein. Die schöne Wirtin zögerte kurz, dann nahm sie eine staubige dunkelgrüne Flasche aus der hintersten Regalreihe und schenkte etwas Zähflüssiges ein, das nach Likör aussah. Der junge Autor versuchte, das Etikett zu erkennen.
„Grüne Fee?“
„Der geht aufs Haus“, sagte die Wirtin.
„Oh, danke.“
Er leerte das Glas in einem Zug und verzog das Gesicht. „Schmeckt so wie ich mich fühle.“
„Bitter hilft“, sagte die schöne Wirtin. „Vielleicht sollten Sie jetzt besser nach Hause gehen?“
Der junge Autor fühlte sich wie hypnotisiert von ihren grünen Augen und ein wenig schwindlig war ihm auch.
„Ja, gute Idee.“
Er stand leicht schwankend auf und legte einen Geldschein auf die Theke. Der hässliche Riese half ihm in seine Jacke und lenkte ihn Richtung Tür, die sich wie von selbst zu öffnen schien. Der Autor stolperte über die Schwelle nach draußen, geradewegs in die Arme einer jungen Frau mit einem roten Schal.
„Hoppla“, sagte sie und fing ihn auf. „Glück gehabt.“
Die Tür schloss sich hinter den beiden.
„Na endlich“, seufzte die Fee hinter der Theke. „Ich konnte das Gejammer nicht mehr hören.“
Der Troll grunzte. Oder war es ein Lachen?
„Eine Lokalrunde!“, bestellte eine der drei kartenspielenden Hexen. „Und fröhliche Weihnachten für alle!“

 

 

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Der Geschichten-Adventskalender #AutorInnenimAdvent erscheint nun schon im zweiten Jahr auf diversen Social Media Kanälen, erdacht und organisiert via Facebook von der wunderbaren Juliane Schiesel

Dies ist das 10. Türchen. Gestern gab es eine Geschichte von Karina Reiß, morgen ist Selina Schuster dran.

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Viel Spaß beim Lesen.

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