Fundstück
Ernst Gruber war schon als Kind ein echter Brocken gewesen. „Glatte drei Kilo, schon bei der Geburt“, sagte seine Mutter stolz. „Der hätte mir beinahe das Becken gesprengt!“
Er wuchs zu einem stattlichen, starken jungen Mann heran, der gerne hart arbeitete. Ernst mochte es, Dinge mit den Händen zu erschaffen. Aber es hielt ihn nirgendwo lange. Er arbeitete als Steinmetz und als Friedhofsgärtner, er pflasterte Straßen und tischlerte Schulmöbel.
„Such dir doch endlich mal eine Frau!“, beschwerte sich seine Mutter. „Ich wünsche mir Enkelkinder.“
Aber so geschickt Ernst auch mit den Händen war, so ungeschickte stellte er sich im Umgang mit dem anderen Geschlecht an. Dann wurden Arbeiter für den Ausbau der U-Bahn nach Tegel gesucht. Ernst, interessiert daran, etwas Neues zu versuchen, ging in den Untergrund. Es war faszinierend zu sehen, wie sie sich vorwärts gruben, wie sich die Maschinen durch die Erde fraßen im Namen von Technik und Fortschritt.
Ernst stürzte sich in die Arbeit, um seine zunehmende innere Leere zu betäuben. Mutter hatte recht, er wurde auch nicht jünger. Und sein Rücken machte ihm zu schaffen. Doch hier unten würde er auch keine Frau finden. Oder doch?
Eines Tages entdeckte Ernst, halb versteckt zwischen Schutt und Geröll, eine kleine Steinfigur. Er nahm sie hoch und entfernte behutsam den Dreck. In seinen Händen hielt er eine kleine nackte Frau mit vollen Brüsten und runden Hüften. Eine kleine Venus. Sie war liebevoll und detailgetreu bearbeitet worden und sehr, sehr alt. Die Arbeiter waren angehalten, alles, was sie fanden, abzuliefern. Ernst blickte sich kurz um und ließ das Figürchen in seiner Hosentasche verschwinden. Damals erzählte er niemandem davon, noch nicht einmal seiner Mutter. Aber in der Nacht holte er die kleine Venus heraus, polierte sie blitzblank und stellte sich vor, endlich die Frau seines Lebens kennen zu lernen.
Zwei Wochen später, als er sich Mittags an der Bude eine Currywurst holte, stieß er mit der Kindergärtnerin Ellie Krauthausen zusammen und kippte vor Schreck Pommes in ihren Ausschnitt. Jetzt haben die beiden zwei Kinder und feierten gerade ihren 60sten Hochzeitstag.
Erst kürzlich hat er Ellie erzählt, warum er sie zärtlich seine Venus von Tegel nennt.